Ist doch alles gar nicht so schlimm, nur ein kleiner Flirt. Wie bitte?! Die Grenzen zwischen einem harmlosen Flirt und sexueller Belästigung scheinen immer mehr zu verschwimmen und für viele kaum noch wahrnehmbar zu sein. Vor allem online scheinen für viele die Hemmungen zu fallen. Wir haben über die Problematik und die schlimmsten Beispiele mit Kim, einer Mitbegründerin von „Antiflirting” geredet.
Gemeinsam mit Co-Gründerin Caro kämpft sie auf der Instagram-Seite dafür, Menschen ins Bewusstsein zu rufen, dass übergriffige Nachrichten keinesfalls okay sind. Dafür haben die beiden Frauen einen offensiven Weg gewählt: Sie veröffentlichen all die anzüglichen Nachrichten, die ihre Follower erhalten haben und ihnen als Screenshots zusenden, anonym. Aber auch unzensiert. Und was man hier lesen muss, schockiert gleich auf mehrere Weisen.
Sexuelle Belästigung im Internet: Beispiele, die unter die Haut gehen
Zum einen, weil die Nachrichten an sich so widerlich sind, dass es einen schüttelt. Zum anderen, weil sie einem selbst doch traurigerweise so bekannt vorkommen. Dazu zählen zum Beispiel diese:
1. Der Klassiker: das ungefragte Dick Pic.
2. Die Anmache, die alle Knie weich werden lässt.
3. Das aufdringliche Sexangebot.
4. Das Versprechen, dass er doch ganz anders ist als andere.
5. Das „Kompliment”, das definitiv keines ist.
6. Manche Nachrichten sind sogar so verstörend, dass Kim und Caro extra eine Triggerwarnung davorsetzen. Die soll vor allem denjenigen helfen, die mit sexueller Gewalt, Bodyshaming, Slutshaming oder anderen, traumatischen Erlebnissen Erfahrungen machen mussten und bei denen bestimmte Wörter und Ausdrucksweisen die Erinnerungen wieder hochkommen lassen.
Kommen dir einige Nachrichten in ähnlicher Art und Weise auch bekannt vor? Leider sind solche „Anmachen” so weit verbreitet und gleichzeitig noch ein solches Tabuthema, dass viele sie hinnehmen und abtun. Doch damit soll Schluss sein.
Belästigung bei Instagram, Tinder, Quizduell & Co.: „Es gibt Beispiele, die man nicht aussprechen möchte”
Wie Kim im Interview erzählt, erhalten sie täglich zwischen 10 und 4.000 Beispiele. Wie man auf ihrer Instagram-Seite sieht, kommen die Nachrichten von überall, ob über Messengerdienste, private Nachrichten auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Facebook, Flirt-Apps wie Tinder und sogar über Chats von Apps wie Quizduell (!). Spätestens seit ihrem Feature in Jokos und Klaas gefeierter Sondersendung „Männerwelten” (auf YouTube kannst du dir den Beitrag nochmal ansehen) quillt ihr Postfach über. Frauen und Männer werden sich des Problems bewusst.
Unter den zugesendeten Screenshots befinden sich auch so Erschreckende, dass man viele nicht mehr so schnell vergisst: „Die, die mir am meisten im Kopf bleiben, sind die, die man gar nicht aussprechen möchte. Dazu gehören Gewaltandrohungen, Vergewaltigungsfantasien, Pädo- und Hebephilie und sogar Morddrohungen”, erklärt Kim. Doch hier geht es natürlich nicht um eine Gewichtung. Egal, ob eine Nachricht vergleichsweise sanft formuliert ist oder mit Ausdrücken und expliziten Bildern kommt, sexuelle Belästigung bleibt sexuelle Belästigung.
Man könnte meinen, die Grenze zwischen Flirt und übergriffigen Aussagen ist eindeutig. Doch nicht nur an den veröffentlichten Nachrichten selbst, sondern auch an den Diskussionen unter den Bildern merkt man, dass es für viele schwierig zu unterscheiden ist.
Wann Flirten aufhört und sexuelle Belästigung beginnt
Was ist also harmlos und was nicht? Kims Definition ist eindeutig und weist den kleinen, aber feinen Unterschied auf:
„Die Grenze ist Konsens. Im Prinzip kann alles erregend sein, wenn das Gegenüber vorher zugestimmt hat. Natürlich weiß man bei einer fremden Person nicht, was für sie oder ihn okay ist und was nicht, genau in diesem Fall sollte man einfach mit Vorsicht herangehen. Viele Menschen sagen: ,Aber das ist ja total unsexy, wenn man nachfragt ...’ – Denkt man zuerst! Aber es ist doch viel erotischer, wenn man von seinem Gegenüber weiß, dass sie bzw. er auch Lust hat.”
Ob dem so ist, ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Darum sei es wichtig, auch jede Person individuell nach Zustimmung zu fragen, erklärt sie. Mit Ablehnung muss man dann auch leben können: „Nein heißt Nein und nicht ,Überrede mich!'“ Leider ist genau das vielen Tätern egal, sie genießen es lieber, aus ihrer selbstgeschaffenen Machtposition heraus ihr Opfer zu erniedrigen und ungefragt zu sexualisieren.
Wie reagiert man richtig auf sexuell übergriffige Nachrichten?
Dass es sexuelle Belästigung irgendwann nicht mehr geben wird, ist leider Utopie. Dennoch ist keiner von uns machtlos und kann sich gegen solche Nachrichten wehren! Einen perfekten Weg gibt es dafür nicht, ob man die Person nur blockiert oder sich auf eine Diskussion einlässt, ist jedem selbst überlassen.
Kim ergänzt einen wichtigen Punkt: „Ungefragte pornographische Bilder sind in Deutschland strafbar! Man kann tatsächlich Anzeige erstatten, wenn man ein unschönes Bild im Postfach hat. Ebenso bei Beleidigung und Gewaltandrohungen. Nachrichten und Profile kann man bei allen Plattformen melden.“ Auch das ist natürlich alles kein Muss, aber wenn du die Motivation hast, härter durchgreifen zu wollen, dann hast du dafür auch eine gesetzliche Grundlage.
Bildquelle: Getty Images/iprogressman, TruDoku