Man stelle sich zwei Menschen vor, die sich noch nie vorher begegnet sind. Plötzlich schauen sie sich in die Augen und es trifft sie wie ein Blitz: Sie wissen sofort, dass sie den Richtigen oder die Richtige getroffen haben. Doch kann man sich wirklich so schnell verlieben? Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es dazu ganz unterschiedliche Positionen. Ich zeige dir, was meine Recherchen über die Liebe auf den ersten Blick ergeben haben und ob meine persönlichen Erfahrungen dafür oder dagegen sprechen.
Irgendetwas muss doch dran sein an der Liebe auf den ersten Blick, wenn sie in so vielen Liebesliedern besungen und in Rom-Coms zelebriert wird. Es ist ja eine überaus romantische Vorstellung, dass sich zwei Menschen begegnen und sofort etwas füreinander empfinden, ohne viel voneinander zu wissen. Auf diesem Konzept beruhen auch Speed Datings, bei denen Singles innerhalb weniger Minuten entscheiden können, ob sie an ihrem Gegenüber interessiert sind. Um herauszufinden, ob es Liebe auf den ersten Blick wirklich gibt, hat die Forschung diese genauer unter die Lupe genommen.
Pro: Liebe auf den ersten Blick gibt es!
Der Psychologe Prof. Robert Kurzban, der sich aus evolutionsbiologischer Sicht mit der Partnerwahl beschäftigt, hat sich 2004 in einer umfassenden Studie das Verhalten von Teilnehmer*innen des amerikanischen Speed Dating-Anbieters „HurryDate“ angesehen. Die Analyse von Berichten von mehr als 10.000 Teilnehmenden ergab, dass ein Großteil Anziehung bereits innerhalb von wenigen Sekunden gespürt hat. Überraschenderweise seien das Einkommen, die Religionszugehörigkeit oder die Ausbildung des Gegenübers zweitrangig gewesen, um Gefühle zu entwickeln. Doch ob man beim Speed Dating anfängliches Interesse bekundet oder nicht, sagt noch nicht viel darüber aus, ob sich daraus später tatsächlich eine Liebesbeziehung entwickelt.
Der Psychotherapeut und Autor zahlreicher Beziehungsratgeber Dr. Wolfgang Krüger macht in der Apotheken Umschau allen Romantiker*innen Hoffnung: „Etwa die Hälfte aller Liebesbeziehungen startet als ‚Liebe auf den ersten Blick‘.“ Die andere Hälfte seien all jene Beziehungen, die aus Freundschaften oder unter Arbeitskolleg*innen entstehen, nachdem man gemeinsame Interessen festgestellt habe.
Auch die Psychologin Dr. Marisa Cohen ist überzeugt davon, dass zumindest Verliebtheit durchaus auf den ersten Blick entstehen kann. Doch auch Liebe auf den ersten Blick? Wie sie dem Magazin Man Repeller erklärt, müsse man hierbei aber auch beachten, was die betreffenden Personen unter Liebe verstehen. Wenn Liebe für sie eine tiefe Verbindung ist, die per Definition erst nach langer Zeit entstehen kann, kann es für sie Liebe auf den ersten Blick gar nicht geben. Wird diese Verliebtheit jedoch als Teil von Liebe angesehen, könne man durchaus davon sprechen. Die Psychologin selbst definiert Liebe ganz einfach als ein starkes Verlangen danach, zu einer Person eine Verbindung aufzubauen. Entsteht dieses Verlangen schon in den ersten Minuten einer Begegnung, würde sie dies durchaus als Liebe auf den ersten Blick deuten. Dafür lohnt sich auch ein Blick darauf, wieso man sich überhaupt in eine bestimmte Person verliebt. Mehr dazu liest du hier.
Contra: Liebe auf den ersten Blick gibt es nicht!
Die Wissenschaft ist sich allerdings nicht einig darüber, ob es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick wirklich gibt. Auch der deutsche Psychologe Dr. Florian Zsok hat 2017 die Teilnehmenden von Speed Datings untersucht und ist dabei zu einem ganz anderen Urteil als seine amerikanischen Kolleg*innen gekommen. Zwar hätten 31 von 400 Teilnehmenden bei mindestens einer Begegnung von Liebe auf den ersten Blick gesprochen, nach seinem Ermessen sei Liebe jedoch ein viel zu großes Wort für diese Empfindungen. Das Einzige, was auf den ersten Blick spürbar sei, sei die Gewissheit, dass vom anderen Anziehung ausgeht. Hierfür genügten tatsächlich nur wenige Sekunden. Doch kann man diese Gefühle wirklich so strikt voneinander trennen?
Warum gibt es dann trotzdem so viele Paare, die von sich behaupten, dass es Liebe auf den ersten Blick war? Glaubt man dem Psychologen Dr. Zsok, sei diese Vorstellung lediglich eine Illusion, wie er in einem Interview mit der Süddeutschen erklärt. Menschen neigten dazu, ihre Beziehungsvergangenheit mit dem Filter der Gegenwart zu betrachten. In der Rückschau wirke es dann oft so, als sei von Anfang an alles vorbestimmt gewesen. Auf diese Weise kreierten Paare etwas, das Zsok den „Schöpfungsmythos ihrer Liebe“ nennt.
Ich möchte daran glauben
Was ist es denn nun: ein biologisch erklärbarer Prozess, Definitionssache, ein Mythos oder eine Illusion? Ich denke, dass sich das nicht für jeden Menschen eindeutig klären lässt. Wenn ich an meine ehemaligen Beziehungen zurückdenke, muss ich feststellen, dass ich beides schon erlebt habe: Meine erste große Liebe mit 15, ein Typ, in den ich mich definitiv bei unserem ersten Treffen am Bahnsteig Hals über Kopf verliebt habe. Dann ist da aber auch meine längste Beziehung, die aus einer Freundschaft entstanden ist und wo es anfangs wirklich keinerlei Anziehung gab.
Auf jeden Fall denke ich, dass beides existiert: Es ist möglich, sich innerhalb kürzester Zeit zu verlieben, es ist aber auch nicht minder unromantisch, wenn zu Beginn keine Anziehung besteht. Nach der Beschäftigung mit dem Thema aus wissenschaftlicher Sicht stelle ich fest, dass es mir eigentlich herzlich egal ist, ob die Liebe auf den ersten Blick nun von Forschenden widerlegt wurde oder nicht. So sehr ich auch sonst sehr rational denke und überzeugte Atheistin bin, möchte ich in Sachen Liebe dann doch an Schicksal glauben. Wenn ich schon bei der ersten Begegnung mit jemandem spüre, dass derjenige etwas ganz Besonderes ist, könnte das natürlich reiner Zufall sein. Aber warum sollte ich mir dieses schöne Verliebtheitsgefühl durch solche ernüchternden Erklärungen kaputtmachen? Wenn man daran glauben möchte, existiert Liebe auf den ersten Blick auf jeden Fall!
Noch mehr wissenschaftliche Erkenntnisse über die Liebe erklären wir dir im Video:
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