Wir Deutschen sind nicht gerade für unser Temperament bekannt. Dieses Klischee bestätigt sich offenbar besonders im Streit: Von Leidenschaft ist da bei deutschen Paaren keine Spur, es wird lieber geschwiegen. Nur selten kracht es so richtig: Fünf Prozent der Paare streiten täglich. Ganze 42 Prozent dagegen geraten lediglich ein- oder zweimal im Monat aneinander, jedes zehnte Paar lebt offenbar in völliger Harmonie. Das ist doch toll! Oder? Nein, sagen Beziehungsberater. Denn leben zwei Menschen miteinander, geraten unvermeidlich Bedürfnisse aneinander. Werden die nicht geklärt, ist das beunruhigend.
Wir schmettern keine Teller gegen die Wand und führen auch keine hitzigen Diskussionen. Wir schweigen: 29 Prozent strafen den Partner oder die Partnerin lieber mit eisernem Schweigen, als ihm die Hölle heiß zu machen und dem eigenen Ärger Luft zu machen. Das hat eine repräsentative Umfrage der Online-Partnervermittlung PARSHIP herausgefunden. Dabei gibt es genug Anlässe für Ärger und Konflikte.
Aber richtig streiten will gelernt sein. Die meisten von uns sind streitunfähig, weil wir nicht gelernt haben, unsere Gefühle adäquat auszudrücken. So wird bei uns aus einer kleinen Uneinigkeit schnell ein großes Drama. Dem gehen wir offenbar lieber gleich aus dem Weg.
Streit gilt als schlecht für die Liebe
„Die Ergebnisse bestätigen, dass viele Paare lieber einen Konflikt vermeiden als ihn auszufechten“, sagt Beziehungsberater und Autor Eric Hegmann im Interview mit der Bild. Denn Streiten in einer Beziehung gilt als schlecht für die Liebe. Die perfekte Beziehung besteht in unserer Vorstellung aus lebendiger, liebevoller Romantik. Streit passt da nicht rein. Man vergleicht sich mit den Bildern glücklicher Pärchen im Freundeskreis oder auf Facebook und agiert in der Folge harmoniesüchtig und damit konfliktscheu.
Konfliktscheue Menschen aber wenden laut dem Paarberater häufig die Strategie des beleidigten Schweigens an: Bei dieser Trotz-Reaktion muss der Partner gefälligst selbst darauf kommen, weshalb man sauer auf ihn ist. So lange er das nicht herausfindet, ist er keines Wortes würdig. Diese „Mauer des Schweigens“ errichten wir, wenn wir mit Argumenten nicht weiter kommen, so Hegmann. Das aber frustriere und führe geradewegs in die Sackgasse. Denn mit Schweigen weisen wir den Partner zurück und bestrafen ihn. Und auch in uns brodelt es dabei gewaltig.
Evolutionäres Reptiliengehirn steuert uns im Streit
Das Problem bleibt indes bestehen und weitet sich aus, wird angereichert mit immer mehr aufgestauter Wut, die sich irgendwann über den Partner ergießt und in totalem Rückzug endet. Denn Streit bringt Stress, steht das Gehirn unter Stresshormonen, schaltet sich der Verstand aus. Dann funktioniert nur noch unser evolutionäres „Reptiliengehirn“, so Hegmann, das nur zwei Funktionen kenne: Flucht und Angriff.“
Dann wird abgewertet, erpresst und geschwiegen und damit eine unaufhaltsame Abwärtsspirale in Gang gesetzt, bis die negativen die positiven Gefühle und die Zuversicht auffressen, sagt auch der Paarberater und Professor John Gottman, der anhand der Streitkultur eines Paares vorhersagen kann, ob es zusammenbleibt.
Ärgert man sich also maßlos, sollte man dem Streit lieber zeitweise aus dem Weg und stattdessen joggen gehen. Sind die Stresshormone aus dem Körper, kann der Verstand wieder arbeiten.
Überhitzte Debatten
Irgendwann muss man sich dem Konflikt stellen, das ist unvermeidlich, denn die Bedürfnisse sind nun einmal da und wollen wahrgenommen werden. Diese vorwurfsfrei zu äußern, ist der Schlüssel zum Erfolg beim Streit in der Beziehung. Dabei gilt, die Wünsche des Partners als gleichberechtigt zu begreifen. Dabei wird es Probleme geben, die sich nicht durch einen Kompromiss lösen lassen – auch in erfolgreichen Beziehungen. Wie ihr Euch trotzdem nach dem Streit wieder so richtig versöhnen könnt, lest hier nach.
Bildquelle: iStock/Constantinis, iStock/AndreyPopov