Wenn du dich in deinem Freundeskreis umschaust, finden sich darunter vermutlich deutlich weniger langjährige Beziehungen oder gar verheiratete Paare als in der Generation deiner Eltern oder Großeltern. Frustrierte langjährige Singles neigen heutzutage schnell dazu, das Liebesleben vergangener Generationen zu romantisieren. In Prä-Tinder-Zeiten war doch irgendwie noch alles einfacher und es gab sie noch: die einzig wahre Liebe. Doch gehören wir tatsächlich der „Generation Beziehungsunfähig“ an oder haben wir einfach nur ein völlig falsches Bild von vergangenen Zeiten?
Mythos #1: Dating ging früher einfacher
Wie auch in vielen anderen Bereichen des Lebens neigen Menschen dazu, die Vergangenheit mit einer rosaroten Brille zu betrachten. Auch in Sachen Dating heißt es dann, dass wir in Zeiten von Internet und Smartphones verlernt hätten, ernsthafte zwischenmenschliche Beziehungen zu knüpfen. Während man früher fremde Menschen noch direkt ansprechen musste, um in Kontakt zu treten, würden sich heutzutage alle nur noch hinter ihren Smartphones und trügerischen Onlineprofilen verstecken. Dabei wird allerdings vergessen, dass Smartphones lediglich ein zusätzliches Kommunikationsmittel sind und den direkten menschlichen Kontakt nicht unmöglich machen. Ich frage mich bei all dieser Verteufelung von Smartphone-Kommunikation immer, ob es denn zuvor tatsächlich so war, dass man sich in der Bahn ganz selbstverständlich mit seinem Sitznachbarn unterhalten oder fremde Menschen in der Kneipe ganz leichtfertig angesprochen hat. Vielmehr hat man auch einfach mehr ins Leere gestarrt und ist mit weniger Menschen in Kontakt getreten, als es mittlerweile der Fall ist.
Neben technischen Erleichterungen wird bei all dieser Romantisierung vergangener Zeiten auch übersehen, dass viele Liebesbeziehungen vor ein paar Jahrzehnten noch gar nicht möglich waren. Heutzutage ist es viel leichter, Personen zu daten, die aus einer anderen sozialen Schicht stammen, eine andere Nationalität haben oder homosexuell sind. Ganz zu schweigen davon, dass du als Frau mittlerweile viel einfacher selbst die Initiative ergreifen kannst und einem geringeren gesellschaftlichen Druck unterliegst, dich schon früh zur Familiengründung auf einen Mann festzulegen. Du kannst dich viel besser ausprobieren und vielleicht auch vor einer möglichen Heirat erst mal testen, ob du mit deinem Partner zusammenleben kannst. Das mag vielleicht auf den ersten Blick unromantisch wirken, man kann aber beim besten Willen nicht behaupten, dass Dating früher einfacher war als heute.
Mythos #2: Tinder und Co. haben die Romantik zerstört
Dating-Apps wie Tinder werden zwar immer selbstverständlicher genutzt, sie umgibt aber dennoch das Stigma, lediglich als Mittel für unverbindliche One-Night- oder gar Half-Night-Stands verwendet zu werden. Dieses Vorurteil bewahrheitet sich aber nicht ganz, denn viele User von Dating-Apps sind tatsächlich eher auf der Suche nach einer festen Beziehung, als gemeinhin vermutet wird. In vielen Profilen findet man mittlerweile sowohl bei Frauen als auch bei Männern Angaben wie „Keine ONS“ (= „Keine One-Night-Stands“). Durch die große Auswahl an Singles, die einem durch Onlineplattformen und Apps geboten werden, werden sich manche vielleicht schwertun, überhaupt eine Wahl zu treffen. Eine große Auswahl erhöht aber auch die Chance, mit Menschen in Kontakt zu treten, denen man andernfalls nie begegnet wäre. Die Wahrscheinlichkeit, auf diese Weise den passenden Partner zu finden, ist ungemein höher, als wenn man wie früher ausschließlich auf die noch unvergebenen Gleichaltrigen im Heimatkaff festgelegt war.
Mythos #3: Früher hat man noch an Beziehungen gearbeitet
Ein Internet-Meme, das mir auf sämtlichen Plattformen immer wieder begegnet, ist das Folgende: Über dem Foto eines älteren Liebespaares steht: „Wie habt ihr es geschafft, so lange zusammenzubleiben?“ Darunter die Antwort des Paares: „Es ist ganz einfach. Wir kommen aus einer Zeit, in der man, wenn etwas kaputt war, es repariert und nicht weggeschmissen hat.“
Auf den ersten Blick wirkt dieser Spruch rührend. Natürlich ist es sowohl in Freundschaften als auch in Beziehungen lobenswert, wenn man diese in einer Krise nicht sofort aufgibt, sondern Probleme zusammen angeht. Jedoch ist dies natürlich auch eine vereinfachte Darstellung. Denn wie viele Ehepaare aus unserer Großelterngeneration sind wohl tatsächlich so lange zusammen, weil sie gemeinsam an ihren Problemen gearbeitet haben? Viel eher ist es wohl in vielen Fällen so, dass eine Scheidung in früheren Generationen einfach noch keine Option war. Man blieb eben zusammen, der Kinder wegen oder, um den äußeren Schein zu wahren. Wenn man es sich recht überlegt, ist dies doch alles andere als eine romantische Vorstellung. Ist es nicht viel wünschenswerter, wenn man – wie heutzutage – aus freien Stücken mit einer Person zusammenbleibt, anstatt aufgrund gesellschaftlicher Normen?
Wenn Beziehungen immer wieder in die Brüche gehen, liegt die Sorge nahe, dass man selbst beziehungsunfähig ist. Doch ist das wirklich so? Mach den Test!
Ehrlichkeit statt verklärte Romantik
Unzählige Beziehungsmodelle, Dating-Apps und hohe Scheidungsraten lassen es tatsächlich so erscheinen, als sei unsere Generation beziehungsunfähiger als vorherige. Vielleicht müssen wir uns aber auch damit abfinden, dass wir heutzutage einfach ehrlicher geworden sind und nicht mehr aufgrund verklärter Romantikvorstellungen an dysfunktionalen Beziehungen festhalten. Bist du anderer Ansicht und findest, dass früher doch so einiges besser war? Dann teile deine Meinung mit uns in den Kommentaren!
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