Du bist gerade am Daten und eigentlich läuft alles super? Die Person ist charmant, empathisch und auf der Humor-Schiene passt es auch. Doch plötzlich zerplatzt die Seifenblase und die Person geht zehn Schritte zurück. Ein klarer Fall von Bindungsangst. Oder vielleicht bist du es sogar selbst, die oder der sich in diesem Verhalten wiederfindet. Doch wie geht man damit um? Und viel wichtiger: Wie lässt sich Bindungsangst überwinden?
Gerade schien alles noch so schön und so prickelnd, da lässt dein Date plötzlich tage- oder sogar wochenlang nichts mehr von sich hören, geschweige denn sehen. Was dahinterstecken kann, ist die Angst vor Nähe und Bindung. Sowohl Frauen als auch Männer können unter Bindungsangst leiden, jedoch sind Männer – Expert*innen zufolge – häufiger betroffen. Und diese Angst kann sich ganz unterschiedlich äußern. Vielleicht betrifft es den gemeinsamen Urlaub, der schon zu viel wird, die erste gemeinsame Wohnung oder überhaupt erst einmal das feste Bekenntnis zueinander als Paar.
Betroffene durchleben dabei ein Gefühlschaos aus Angst, Unsicherheit, Verwirrung und innerer Zerrissenheit. Sie wollen Abhängigkeit und brauchen Unabhängigkeit, sie wollen Nähe und brauchen Distanz. Sie fürchten sich davor, Verbindlichkeiten einzugehen und so ihren Bewegungsspielraum zu verlieren. Gleichzeitig haben sie Angst vor dem Alleinsein. Um Bindungsangst bei dem Partner (to be) oder der Partnerin (to be) zu erkennen, diese richtig zu „behandeln“ und gemeinsam zu überwinden, musst du erst einmal verstehen, wo sie herkommt.
Welche Auslöser für Bindungsangst gibt es?
Den Anfang nimmt das Chaos der Gefühle häufig bereits in der frühen Kindheit, etwa wenn ein Baby zu lange alleine gelassen, ignoriert oder gar abgelehnt wird. Bei so kleinen Kindern kann laut der Psychotherapeutin Stefanie Stahl, die unter anderem auch das Buch „Jein!: Bindungsängste erkennen und bewältigen. Hilfe für Betroffene und deren Partner“ geschrieben hat, schon nach kurzer Zeit Todesangst entstehen. Wird diese Unterversorgung kombiniert mit Überbehütung, die dem Kind keinen Bewegungsspielraum mehr lassen, erlebt es sowohl die Trennung als auch die Nähe bedrohlich. Darüber hinaus kann das Gefühl, nicht gewollt zu sein, den negativen „Lerneffekt“ und das Nähe-und-Distanz-Problem verstärken. Als Erwachsener sind die Betroffenen dann hin- und hergerissen zwischen ihren Ängsten und wissen es meist nicht einmal, denn solche frühkindlichen Erfahrungen werden in der Regel verdrängt. Bedeutet: Der erste Schritt, eine Bindungsangst erfolgreich zu überwinden, ist der, sich ihrer Existenz bewusst zu machen.
Du überlegst, ob eine Paartherapie für dich und deinen Partner oder deine Partnerin das Richtige sein könnte? Diese Kosten könnten dabei auf dich zukommen:
Auch erdrückende Liebe sowie eine sehr strenge Erziehung können zu Beziehungsangst führen. Denn für das Kind heißt Liebe irgendwann Vereinnahmung und Freiheitsberaubung. Später fühlen sich die Betroffenen sehr schnell von Nähe überfordert und in die Ecke gedrängt. Weiterhin treten Bindungsängste in der Regel bei Menschen auf, die ein labiles Selbstwertgefühl haben und instinktiv davon überzeugt sind, irgendwann verlassen zu werden. Sie schützen sich, indem sie den Partner oder die Partnerin auf Distanz halten, um nicht allzu sehr enttäuscht zu werden. Zudem haben sie das Gefühl, sich verbiegen zu müssen, um geliebt zu werden, deshalb fühlen sie sich nur dann frei und authentisch, wenn sie allein sind.
In welcher Form tritt die Bindungsangst auf?
Manche Betroffene verspüren ganz direkt ein Gefühl der Angst, andere fühlen sich plötzlich gleichgültig gegenüber dem Partner oder der Partnerin. Manche halten die Person dann auf Distanz, etwa indem sie sich in Hobbys flüchten. Bei anderen legt sich eine heiße Phase der Verliebtheit schnell wieder, denn die Schwächen des Gegenübers sind im Weg – sie suchen nach Perfektion. Wieder andere sind genauso lange an dem Partner oder der Partnerin interessiert, bis sie ihn oder sie wirklich sicher haben.
Am häufigsten tritt das Phänomen Bindungsangst auf, wenn Paare sich vom Status der Verliebtheit langsam in Richtung Liebe bewegen. Die rosarote Brille wird abgenommen und die Schwächen des oder der anderen treten deutlicher hervor. Und genau dann, wenn die Weichen für eine längerfristige Beziehung gestellt werden, verlassen Bindungsängstliche die Zweisamkeit und beenden die Beziehung. Andere Menschen überfällt die Beziehungsangst erst, wenn die Partnerschaft anfängt, so richtig ernst zu werden. Plötzlich nörgeln sie an allem herum, suchen akribisch nach Gründen, die Beziehung beenden zu können oder wenigstens den Schritt in Richtung Ernsthaftigkeit hinauszuzögern. Plötzlich gibt es zahlreiche plausible Gründe, die einem aufzeigen, dass man zu jung für eine ernsthafte Bindung sei. Manche sichern sich die nötige Distanz sogar, indem sie fremdgehen.
Du willst mehr zu dem Thema wissen? Stefanie Stahls Buch kann dir dabei sicher helfen:
Wie äußert sich extreme Bindungsangst?
Diese Anzeichen helfen dabei, die Ängste betroffener Personen zu verstehen, zu erkennen und somit gemeinsam die Bindungsangst überwinden zu können.
- Anzeichen #1: Fühlt die Person sich zu sehr bedrängt, macht sie Schluss. Ohne dich kommt er oder sie aber auch nicht klar, deswegen steht er/sie bald wieder auf der Matte.
- Anzeichen #2: Dein Gegenüber wechselt ständig zwischen Nähe und Distanz. Auf einen intensiven Wochenend-Kurztrip folgt dann erstmal eine Sendepause. Das heißt, wenn es nah wird, flüchtet er oder sie.
- Anzeichen #3: Die Person redet von Heirat oder Zusammenziehen, macht dann aber plötzlich einen Rückzug.
- Anzeichen #4: Das Thema Zukunft wird am liebsten ignoriert. Oder noch besser: Die Zukunft ist geplant, aber man selbst findet sich darin leider nicht wieder.
Auswirkungen von Bindungsangst auf den Partner oder die Partnerin
Wenn du beim Lesen gerade merkst, dass du vielleicht ebenfalls mit einem Menschen zusammen bist, der Beziehungsangst hat, bist du vermutlich chronisch verunsichert und empfindest häufig Verlustangst. Die meisten Partner*innen leiden unter einem Kontrollverlust und fühlen sich hilflos, denn die alleinige Macht über Nähe und Distanz hat der oder die Bindungsängstliche an sich gerissen. Der einzige Weg, Einfluss nehmen zu können, scheint zu sein, sich selbst noch „besser zu machen“, sich „anzupreisen“ und um den Partner oder die Partnerin zu kämpfen. Denn je weniger der bindungsängstliche Part sich einlässt, desto mehr erwacht die Sehnsucht nach mehr Nähe. Hilfreich ist aber eher, sich zunächst zurückzuziehen. Also keinen Druck machen und Zeit geben. In der Regel kommt der Partner oder die Partnerin von alleine wieder. Das braucht allerdings ein starkes Selbstbewusstsein. Doch reicht dies alleine, um Bindungsangst überwinden zu können?
Wie lässt sich Bindungsangst überwinden?
Betroffenen kann in vielerlei Hinsicht eine Psychotherapie helfen, um ihre Bindungsangst zu überwinden. Doch der erste wichtige Schritt ist zunächst sowieso erstmal, dass sie sich ihrer tiefer liegenden Ängste und inneren Konflikte bewusst werden müssen. Das bildet die Grundlage für die therapeutische Arbeit.
Ist das geschafft, geht es im nächsten Schritt um die Stärkung des Selbstwerts. Klingt leichter gesagt, als getan, das wissen wir. Doch ein gefestigter Selbstwert erleichtert es, sich stark und bereit für eine Liebesbeziehung zu fühlen. Es ist entscheidend, dass die Betroffenen erkennen, dass die Ursachen für ihre Schwierigkeiten oft in ihrer eigenen inneren Welt liegen und nicht in den Unzulänglichkeiten des Partners oder der Partnerin. Sie müssen lernen, ihre eigenen Schwächen zu akzeptieren und zu begreifen, dass sie auch mit diesen geliebt werden können. Neben einer individuellen Therapie können manchmal natürlich auch Seminare oder Ratgeber eine wertvolle Unterstützung bieten, um zusätzliche Perspektiven und Techniken an die Hand zubekommen, die dabei helfen, mit Bindungsängsten besser umzugehen.
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle wohl sagen, dass Bindungsangst für eine Beziehung auf jeden Fall zur großen Gefahr werden kann. Deshalb ist es auch wichtig, genau auf die Anzeichen zu achten, um rechtzeitig gegensteuern zu können – eventuell sogar mithilfe einer professionellen Therapie. Denn die Beziehungsangst des Partners oder der Partnerin muss nicht aller Tage Abend sein.
Woran du übrigens erkennst, ob dein Gegenüber noch nicht bereit für eine tiefere Bindung ist, liest du hier: