Lina Behrens ist Geschäftsführerin von „Flying Health”, einem Unternehmen, das sich für die Digitalisierung im Bereich der Gesundheitsversorgung einsetzt. Wie schön wäre es schließlich, wenn man beispielsweise nicht jedem Arzt alle Beschwerden einzeln erklären und dutzende Zettel vorlegen müsste?
Wir haben mit Lina über ihre spannenden Ideen für das Gesundheitswesen gesprochen, aber auch über die deutsche Start-up-Kultur und warum Frauen sich noch viel zu wenig in das spannende Feld hineintrauen.
desired: Liebe Lina, du bist Finalistin beim Digital Female Leader Award mit deiner Gesundheitsplattform Flying Health. Kannst du kurz erzählen, um was es dir mit deinem Unternehmen geht?
Lina Behrens: Die Digitalisierung schreitet täglich voran. Gerade im Bereich der Gesundheitsversorgung bieten digitale Technologien viele neue Möglichkeiten, von denen wir alle in puncto Gesundheit profitieren können. Mit Flying Health unterstützen wir genau das. Wir bieten Start-ups und großen Unternehmen aus der Gesundheits- und Konsumgüterindustrie Beratung bei allen Fragen rund um die Digitalisierung und die Gesundheitsversorgung der Zukunft.
Mir ist wichtig, dass nicht nur super dynamische und junge Health-Tech-Start-ups eine Chance haben, sondern eben auch alteingesessene, große Unternehmen den Sprung in die Gesundheitsversorgung der Zukunft schaffen. Flying Health möchte aktiv die Gesundheitsversorgung von morgen gestalten.
„In Deutschland sind wir sehr gut darin, Krankheiten zu behandeln, dabei werden aber oft die PatientInnen als Menschen außer Acht gelassen.“
Wie könnte eine verbesserte Digitalisierung des Gesundheitswesens praktisch für Patienten aussehen?
Ich bin davon überzeugt, dass digitale Lösungen dazu beitragen können, nicht nur den Status quo zu verbessern, sondern auch einen Paradigmenwechsel zu ermöglichen: In Deutschland sind wir sehr gut darin, Krankheiten zu behandeln, dabei werden aber oft die PatientInnen als Menschen außer Acht gelassen. PatientInnen sollten in der Zukunft mehr als KundInnen und eigenständig denkende Personen wahrgenommen werden.
Außerdem: Warum sollte ein Patient in jeder Arztpraxis wieder seine gesamte Vorgeschichte erzählen müssen und ein weiteres Mal Untersuchungen vornehmen lassen, nur weil der Arzt nicht auf die Informationen der KollegInnen in anderen Praxen oder Krankenhäusern zugreifen kann? Warum sollte ein Patient zu einer Arztpraxis gehen, wenn stattdessen die Möglichkeit sogenannter ,At Home Tests‘ für viele Krankheiten von zu Hause, gegebenenfalls mit virtueller ärztlicher Begleitung, möglich ist – insbesondere im Corona-Kontext?
Noch ein persönliches Beispiel: Ich habe mir hier in Berlin vor zwei Jahren meinen Arm gebrochen, leider ein sehr komplizierter Bruch. Zu jedem Arztbesuch musste ich einen immer größer werdenden Stapel von DVDs mit mir herumtragen – gleichzeitig wurde ich von verschiedenen ÄrztInnen kaum angeschaut, wenn sie in kurzer Zeit versuchten, sich durch die Berge von Informationen zu graben, anstatt sich mit mir als Person vor ihnen auseinanderzusetzen. Die Integration und Priorisierung von Informationen, wo hilfreich, kann den Austausch zwischen ÄrztInnen und PatientInnen wieder in den Vordergrund stellen.
Spannend wird es auch, wenn man weiterdenkt: Das Krankenhaus der Zukunft ist nach unserer Vision vernetzt mit allen relevanten Parteien, es ist weitestgehend automatisiert, bietet personalisierte Behandlung und schafft Raum für Empathie mit den Patienten.
Eine weitere Entwicklung ist die Möglichkeit, beispielsweise durch bessere Sensoren die medizinische Versorgung in unseren Alltag zu integrieren. Unser vernetztes zu Hause – oder auch unser Auto – wird uns dabei helfen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und den Heilungsverlauf zu unterstützen.
Wo siehst du Herausforderungen und Hürden, deine Vorstellungen und Ideen mit dem deutschen Gesundheitswesen zu vereinbaren?
Die Vision, die wir bei Flying Health aufzeigen, bedeutet, dass Wertschöpfungsketten verändert werden – und damit auch die Rollen der heutigen Akteure im Gesundheitswesen. Derzeit sehen wir bei vielen Organisationen allerdings noch wenig Bereitschaft, selbst die Veränderung anzustoßen. Häufig wird versucht, den Status Quo zu zementieren. Dadurch wird unsere Vision leider langsamer Realität, als wir es gerne hätten. Dabei ist die Strategie der Verweigerung nicht nachhaltig: Wer sich proaktiv jetzt einbringt, kann den Schritt der Zeit bestimmen.
Auf welchen Erfolg mit Flying Health bist du besonders stolz?
Wir haben zum Beispiel über längere Zeit das Digital-Team der Sana Kliniken aufgebaut. Dort haben wir vom ersten Tag an von der Strategie bis zur Umsetzung eng zusammengearbeitet und hunderte von möglichen digitalen Tools gescreent. Zu wissen, dass mittlerweile rund 15 neue Digital Health Tools in über 20 Krankenhäusern eingeführt wurden, macht mich glücklich. Uns als Team motivieren Beispiele wie diese jeden Tag aufs Neue, um immer wieder zu hinterfragen, wie wir unsere Partner noch besser in die Zukunft begleiten und Wert schaffen können.
Was hat dich motiviert, in einem digitalen Start-up zu arbeiten?
Nachdem ich 13 Jahre in der Schweiz, England und Kolumbien gelebt hatte, habe ich bei meiner Rückkehr nach Deutschland viele Bereiche der Wirtschaft als sehr traditionell wahrgenommen, insbesondere in Bezug auf Frauen in Führungspositionen. Daher war für mich klar, dass ich in ein Umfeld möchte, wo ich die Chance habe, für Female Leadership zu stehen und eine neue Generation deutscher Unternehmenskultur zu prägen.
Als eine der stellvertretenden Präsidentinnen des Bundesverbands Deutscher Start-ups setzt du dich für die Förderung der Innovations- und Start-up Kultur in Deutschland ein, insbesondere der für Frauen. Und das scheint nötig: Fast alle Start-ups in Deutschland werden von Männern gegründet. Was meinst du, woran es liegt, dass es hier so wenige Female Leader gibt?
Mit nur knapp 16 Prozent ist der Anteil der Startup-Gründerinnen in Deutschland dramatisch gering. Ich sehe dafür insbesondere drei Barrieren: Benachteiligung bei der Finanzierung – nur 2 Prozent der Venture Capital Investitionen in Deutschland gehen an Gründerinnen –, fehlende Zugänge zu Netzwerken und festgefahrene Rollenbilder in der Gesellschaft.
Durch die Manifestierung dieser Barrieren verschenken wir das Potential eines großen Teils unserer Bevölkerung, um Innovation aktiv voranzutreiben – dies ist nicht nur ein gesellschaftliches, sondern ein ökonomisches Problem. Zahlreiche Studien zeigen, dass von Frauen geführte Start-ups eine höhere Rendite erwirtschaften. Gründerinnen zu stärken ist daher kein Selbstzweck, sondern folgt wirtschaftlicher Vernunft und Notwendigkeit.
„Ich möchte in einer Welt leben, in der die Tatsache, dass ich eine Frau bin, weniger bedeutend ist als meine Stärken, meine Meinung, meine Erfolge.“
Was würdest du dir von der Regierung, aber auch speziell von der Wirtschaft an Unterstützung wünschen, was die Förderung weiblich geführter Start-ups, zum Beispiel in der Digitalbranche, angeht?
Für die Gründerinnen von heute bleibt der Zugang zu Wagniskapital weiterhin ein Hindernis. Die Gründe für dieses Ungleichgewicht sind vielfältig, jedoch müssen Investoren stärker Verantwortung übernehmen – allein aus ihrem Eigeninteresse. Denn gemischte Teams sind laut zahlreichen Studien meist erfolgreicher.
Zudem brauchen wir als Gesellschaft ein Umdenken in Bezug auf die Geschlechterrollen in Deutschland, wenn wir auch in Zukunft erfolgreich sein wollen. Mit einer Gruppe von erfolgreichen Unternehmerinnen und Investorinnen haben wir kürzlich in Berlin mit einem bekannten Politiker diskutiert – die Ansichten in Bezug auf die Rolle der Frau fühlten sich rückwärtsgewandt an, insbesondere hinsichtlich der Besetzung von Vorstands- und Aufsichtsratsposten.
Derzeit haben wir viele EinzelkämpferInnen, die erfolgreich sind und es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Weg für Frauen in Führungspositionen zu ebnen. Das ist ein wichtiger Schritt, aber wir müssen schon früher ansetzen, in dem wir auch das Bild von Unternehmertum und Leadership, Politik und Wirtschaft in der Schule und Ausbildung moderner gestalten.
Ich möchte in einer Welt leben, in der die Tatsache, dass ich eine Frau bin, weniger bedeutend ist als meine Stärken, meine Meinung, meine Erfolge. Eine kürzlich veröffentliche Studie der Allbright Stiftung hat jedoch wieder gezeigt, was ich auch nach meiner Rückkehr aus dem Ausland sehr deutlich wahrgenommen habe: Deutschland ist weit entfernt von Gleichstellung. Nun ist es an der Zeit, dies aktiv zu ändern – von Seiten der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft!
Danke für das spannende Interview!
Lina Behrens ist in diesem Jahr übrigens Finalistin beim „Digital Female Leader Award"! Mit dem Award, der von Global Digital Women ins Leben gerufen wurde, werden jedes Jahr Frauen in der Digitalwirtschaft für ihre besonderen Projekte ausgezeichnet. Ziel ist es, Frauen mehr Sichtbarkeit in der Branche zu geben, ihre Geschichten zu erzählen und dadurch auch andere zu inspirieren und motivieren. Weitere spannende Interviews mit inspirierenden Frauen findest du in unserer Themenreihe „empowHER":
Bildquelle: Lina Behrens Digital Female Leader Award