Dr. Wiebke Ankersen ist Geschäftsführerin der AllBright Stiftung. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, mithilfe von faktenbasierten Informationen das Problembewusstsein für fehlende Diversität in Führungspositionen zu schaffen und so die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, damit diese die Veränderungen einfordert, die nötig sind.
Wir haben mit Wiebke über die schockierende Fakten in Bezug auf Frauen in Führungspositionen, ihre Ansätze zu einem Umdenken und die Rolle der Coronakrise in dieser Debatte gesprochen:
desired: Deutschland liegt beim Thema Diversity in Führungspositionen immer noch
weit zurück. Woran liegt das?
Dr. Wiebke Ankersen: Das öffentliche Bewusstsein zum Thema Chancengleichheit und Diversität in der Führung ist in Deutschland noch nicht sehr ausgeprägt und so war für viele Unternehmen bisher der Veränderungsdruck noch nicht hoch genug. In den USA,
Großbritannien oder Schweden ist es schon lange nicht mehr möglich, reine Männermannschaften zu präsentieren, das wird von der Gesellschaft einfach nicht
mehr akzeptiert. In Deutschland war das bis vor kurzem noch ganz normal. Aber wir
sehen: Es bewegt sich was, das Bewusstsein wächst und die Forderungen, dass sich
etwas ändern muss, werden immer lauter.
Was tut deine Stiftung AllBright, um das zu ändern?
Wir bringen Schwung in die öffentliche Debatte und versorgen sie mit Fakten, mit unseren Studien und beispielsweise den #Fridayfacts in den sozialen Medien. Für Diversität in Führungspositionen zu sorgen, muss in den Unternehmen mindestens den Stellenwert erreichen, den Nachhaltigkeit – übrigens infolge öffentlichen Drucks – bereits erhalten hat.
Welche Erfolge habt ihr durch eure Arbeit bereits gefeiert?
Nachdem wir im vergangenen Jahr eine Liste mit den Unternehmen veröffentlicht hatten, die sich die „Zielgröße Null“ gesetzt haben, also laut Geschäftsbericht bis 2020 planen, einen Frauenanteil von 0 Prozent im Vorstand zu erreichen, war der öffentliche Aufschrei groß. Es gab Boykottaufrufe und viele Kundinnen haben ihre Accounts gelöscht. Unternehmen wie beispielsweise Zalando, Xing und Fielmann sind daraufhin von ihrem Ziel „Null Frauen im Vorstand“ abgerückt und haben sich ambitioniertere Ziele gesetzt, Xing hat jetzt eine Vorstandsvorsitzende. Daneben führen wir aber auch immer wieder direkte Gespräche mit Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern und leisten mit guten Argumenten Überzeugungsarbeit.
Frauen werden schlechter beurteilt, seltener für Führungspositionen vorgeschlagen, als Vorgesetzte viel stärker infrage gestellt als Männer – und zwar von Männern und Frauen.
Dr. Wiebke Ankersen
Bei AllBright präsentiert ihr schockierende Fakten, um die Gesellschaft wachzurütteln. Welcher Fakt hat dich dabei bisher am meisten bewegt?
Ich glaube, es ist die Tatsache, dass etwa die Hälfte der deutschen Führungskräfte nicht weiß, was Unconscious Bias ist, also unbewusste Vorurteile, die unsere Entscheidungen und unser Handeln beeinflussen. Unser Blick auf Männer und Frauen, unsere Erwartungen an Männer und Frauen sind nicht dieselben – Frauen werden schlechter beurteilt, seltener für Führungspositionen vorgeschlagen, als Vorgesetzte viel stärker infrage gestellt als Männer – und zwar von Männern und Frauen. Das ist so himmelschreiend ungerecht und liegt vor allem daran, dass unser aller Bild von Führungskräften noch immer so stark männlich geprägt ist. Und es ändert sich nur, wenn wir viel mehr andere Rollenvorbilder haben: Männer, die sich um ihre Familie kümmern, Frauen, die führen.
Inwiefern hast du dieses strukturelle Problem während deines eigenen Werdegangs erfahren?
Als ich meine drei Töchter bekommen habe, habe ich eine Weile in Teilzeit gearbeitet, während mein Mann weiter in Vollzeit an seiner Karriere gebastelt hat. Als dann aber ALLE meine Freundinnen – egal, wie gut ausgebildet, egal, wie begabt – ebenfalls auf die Karriere ihrer Männer gesetzt haben, wurde mir klar: Das ist zwar in jedem Fall individuell begründet, aber das Problem ist strukturell. Diese in Deutschland noch unheimlich starke Norm von: „Er macht Karriere, sie verdient etwas hinzu.“
Mit welchen Vorurteilen müssen Frauen heute immer noch kämpfen?
Wo soll ich anfangen? Es gibt so viele … Das beliebteste Vorurteil ist vielleicht: Frauen wollen doch gar nicht führen, die wollen sich lieber um die Familie kümmern. Das stimmt natürlich nicht. Frauen würden eigentlich gern führen, aber Wirtschaft und Gesellschaft erwarten etwas anderes von ihnen – nämlich, dass sie sich vor allem um die Familie kümmern – und honorieren das auch am meisten. Erfolgreiche Frauen sind weniger beliebt als erfolgreiche Männer. Am glücklichsten sind bei Umfragen immer die Paare mit dem Modell: „Er macht Karriere, sie verdient hinzu“. Kein Wunder, das entspricht eben den Erwartungen, wird am besten akzeptiert und am meisten belohnt: steuerlich, vom sozialen Umfeld, im Alltag. Alles, was von dem Modell abweicht, muss verteidigt werden und ist viel, viel anstrengender für alle Beteiligten.
Von Männern erwarten wir mehr Engagement beim Thema Diversity. Was müssen Frauen aber selbst leisten, damit sich die Strukturen wirklich ändern?
Sie sollten schneller Ja sagen, wenn ihnen mehr Verantwortung angeboten wird. Ich würde sogar sagen: Erst ja sagen, dann nachdenken. Wir wissen, dass Männer sich tendenziell überschätzen und Frauen viel selbstkritischer sind. Wenn jemand der Frau die Position zutraut, dann wird sie auch dafür geeignet sein. Und natürlich sollten sie von ihren Partnern einfordern, sich die Haus- und Familienarbeit partnerschaftlich aufzuteilen, damit nicht, wie so oft, die gesamte Familienlogistik an der Frau hängenbleibt. Dieser sogenannte „Mental Load“ erfordert ja sehr viel Energie, davon sollten die Männer viel mehr übernehmen.
In Zeiten von Corona sind es oft wieder die Frauen, die ihre Karriere hinten anstellen. Wirft uns diese Krise womöglich noch weiter zurück? Und was sollte man dagegen tun?
Ich glaube eigentlich nicht, dass die Krise uns da weit zurückgeworfen hat. Sie hat
vieles plötzlich sehr sichtbar gemacht und wir haben als Gesellschaft endlich darüber
gesprochen, dass Frauen und Männer da sehr Unterschiedliches leisten. Dass das
jetzt allen bewusst ist, ist aber ein guter Ausgangspunkt, es zu ändern. Viele hatten
sich ja nie darüber Gedanken gemacht, was Frauen da über den Job hinaus in der Regel
mit der Familienlogistik leisten. Ich denke, es wird viele dazu bringen, darüber zu
reden und sich die Aufgaben partnerschaftlicher aufzuteilen.
Dr. Wiebke Ankersen ist in diesem Jahr übrigens Finalistin beim „Digital Female Leader Award"! Mit dem Award, der von Global Digital Women ins Leben gerufen wurde, werden jedes Jahr Frauen in der Digitalwirtschaft für ihre besonderen Projekte ausgezeichnet. Ziel ist es, Frauen mehr Sichtbarkeit in der Branche zu geben, ihre Geschichten zu erzählen und dadurch auch andere zu inspirieren und motivieren. Weitere spannende Interviews mit inspirierenden Frauen findest du in unserer Themenreihe „empowHER":
Bildquelle: privat