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Im Interview:

Düzen Tekkal: „Diversity macht alles komplizierter, aber auch interessanter und spannender“

Düzen Tekkal Interview BGA

Mit ihrem aufrüttelnden Dokumentarfilm „HÁWAR – Meine Reise in den Genozid“ hat die Journalistin und Kriegsberichterstatterin Düzen Tekkal es geschafft, verstärkt auf den Völkermord an den Jesid*Innen aufmerksam zu machen. Mit ihrer Organisation HÁWAR.help unterstützt sie zudem Minderheiten, die religiöser, ethnischer oder geschlechterspezifischer Verfolgung ausgesetzt sind. Im Interview hat uns Düzen Tekkal erklärt, warum Deutschland Nachholbedarf in Sachen Integration hat und wie Quoten bei einer diverseren Besetzung von Führungskräften helfen können.

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desired: Sie sind eine Frau mit Migrationshintergrund und CDU-nah. Sorgt das 2021 noch für Staunen, oder haben sich die meisten Menschen inzwischen daran gewöhnt, dass auch eine ehemals sehr konservative Partei diverser aufgestellt ist?

Düzen Tekkal: Es erstaunt mich immer noch sehr, dass Menschen verwundert sind, dass Menschen mit Biografien wie meiner durchaus auch in bürgerlichen Lagern wie der FDP oder der CDU vertreten sind. Es ist ein Ammenmärchen, zu glauben, dass alle Migrantenkinder bei den Linken und Grünen landen müssen. Ich finde, Parteienvielfalt- und Landschaft heißt auch, dass Menschen mit unseren Biografien als ganz selbstverständlicher Teil in allen Parteien vertreten sein müssen.

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Düzen Tekkal hat es auf die Liste der geschafft. Mit ihr zeichnet die Diversitätsinitiative BeyondGenderAgenda 2021 erstmalig fünfzig Persönlichkeiten aus, die das Potenzial haben, in diesem Jahr die Themen Diversity, Equity & Inclusion in der deutschen Wirtschaft maßgeblich voranzutreiben.

Die BeyondGenderAgenda setzt sich für eine diversere Besetzung von Führungskräften ein – nicht nur hinsichtlich des Geschlechts, sondern auch unabhängig von Behinderungen, Alter, kultureller sowie sozialer Herkunft und sexueller Orientierung. Gibt es eine Minderheit, die ihrer Einschätzung nach in Deutschland besonders schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat?

Ich glaube, dass es ganz schwierig ist, Minderheiten gegeneinander aufzuwiegen oder zu überlegen „Wem geht es am schlechtesten?“ Sondern, dass das Thema Diversity ganz klar als Querschnittsaufgabe verstanden werden muss. Und dazu gehören natürlich auch Inklusion ebenso wie der Migrationshintergrund, bzw. sowohl die Zuwanderungsgeschichte als auch die Geschlechterparität. Aber wir können eben beim Thema Geschlechterparität nicht aufhören. Das umfasst nicht den ganzen Diversity-Begriff.

Gibt es Länder in Europa, in denen das besser funktioniert als in Deutschland?

Wenn ich einmal Beispiele nennen müsste von Akteuren, die das aus meiner Sicht perfekt vorleben, dann beispielsweise Neuseeland oder auch die neue US-Regierung. Und auch in einigen skandinavischen Ländern gelingt es teilweise schon besser als in Deutschland. Da haben wir noch ganz viel Luft nach oben. Das hat vor allem damit zu tun, dass wir sehr defizitär auf das Thema Diversity schauen. Das läuft so ein bisschen nach dem Motto: „Wir machen das, um das soziale Gewissen zu beruhigen, aber so richtig haben wir eigentlich nichts davon.“ Dass es aber eben auch ökonomische Vorteile hat, dass es auch ein ganzes Unternehmen besser macht, wenn man auch auf Augenhöhe so viel voneinander lernen kann, das wird alles unter den Teppich gekehrt.

Diese Personen, die wir von Diversity profitieren lassen wollen, sollen nicht in die Rolle der Bittsteller gerückt werden, sondern es sollte klar werden, dass jedes Unternehmen froh darüber sein kann, Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, Menschen unterschiedlicher Identität und Sozialisation mit einzubinden. Ich bin tief davon überzeugt, dass Unternehmen oder Parteien, die das nicht vergegenwärtigen, nicht begreifen, dass die sich selber dadurch benachteiligen.

Sie sind Befürworterin einer Frauenquote. Warum ist auch mit einer Quote sichergestellt, dass Posten nach Qualifikation, nicht nach Geschlecht vergeben werden?

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Das Thema Quote adressiert vor allem strukturelle Benachteiligung. Es geht darum, dass das, was unter Freiwilligkeitsaspekten Jahrzehnte lang nicht geklappt hat, dass man da jetzt nachhelfen muss. Die Quote ist das letzte Mittel, auf das man zurückgreifen sollte. Wenn man über Quoten diskutiert, zeigt es eigentlich schon, dass man auf eine Art versagt hat, denn, wenn es vorher gelungen wäre, wäre eine Quote nicht nötig. Eine Quote soll keinesfalls als Qualitätsminderung verstanden werden, sondern allen Menschen die gleichen Chancen geben, die es bis dahin aufgrund von struktureller Benachteiligung gar nicht gab. Dass die Quote infrage gestellt wird, kennen wir ja. Dass Frauen sich immer dafür rechtfertigen müssen, dass sie eine Quotenfrau sind, finde ich bigott. Ich möchte keinen Job bekommen, nur weil ich eine Frau bin. Ich möchte aber auch nirgendwo abgelehnt werden, nur weil ich eine Frau bin.

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Es geht um ein adäquates Gleichgewicht und die Frage, in welchen Strukturen befinden wir uns eigentlich, um dann von Gerechtigkeit sprechen zu können. Die Quote soll bestenfalls dabei helfen, alle Kompetenzen zu erfassen und sichtbar zu machen. Und am Ende müssen auch die Quotenfrauen im Job abliefern – Punkt. Unabhängig davon, ob ich eine Frau bin, ob ich Migrationsgeschichte habe oder nicht. Wenn ich es nicht kann, dann bin ich weg. Das regelt letztendlich der Markt. Aber ich glaube, der soziale Aspekt, den wir dabei berücksichtigen müssen, ist: Haben wir wirklich Strukturen, die alle gleich begünstigen? Und da sehen wir: Das ist nicht der Fall, da muss man dran arbeiten.

Ihre Eltern sind in der Türkei geboren, haben aber anders als die dortige Mehrheitsgesellschaft keinen muslimischen, sondern einen jesidisch-kurdischen Hintergrund. Stört es Sie, dass Menschen mit Migrationshintergrund aus der Türkei und Ländern des arabischsprachigen Raums in Deutschland meist als eine homogene Masse mit gleichem religiösen und kulturellen Hintergrund verallgemeinert werden?

Das ist ein Grundsatzproblem, das wir haben, weil wir uns ja nie bekannt haben zu einer Einwanderungsgesellschaft und viele Fragen unbeantwortet gelassen haben. Dadurch entstand dann auch so ein Wort-Ungetüm wie „Migrationshintergrund“ im Beamtendeutsch. Das hat tatsächlich auch mit den Statistiken zu tun, dass Jesiden, Kurden, Aleviten, Armenier aus der Türkei als Muslime und Türken zusammengefasst werden. Genau da müssen wir ansetzten. Wir müssen diese Heterogenität und Diversität in der Migrationsgesellschaft selbst uns vergegenwärtigen, die auch nicht losgelöst ist von Rassismen und Stigmatisierung und Entmenschlichungen innerhalb dieser Kulturkreise. Das ist kein großer monolithischer Block. Es macht natürlich alles komplizierter, es ist aber eben auch interessanter und spannender! Es gilt, nicht einfach eindimensional in Schubladen zu packen: „Jung, männlich, Migrant“ oder „jung, weiblich, Muslimin“, sondern genau hinzugucken und zu vergegenwärtigen, wer da genau vor einem sitzt.

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Das sind wir im Übrigen auch den Minderheiten schuldig, die teilweise auch wegen Unterdrückungsmechanismen in der alten Heimat überhaupt hier Asyl beantragt und hier auch bekommen haben. Das Schwarz-Weiß-Denken bringt uns auch hier nicht weiter. Es ist ganz entscheidend, wie was gezählt wird und wer wirklich zu welcher Gruppe gehört. Das ist ein ganz tiefer menschlicher Aspekt der Zugehörigkeit und der Identität. Am Ende geht es darum, auch die Frage zu stellen: Was ist der deutsche Teil in mir? Ohne das Gefühl haben zu müssen, dass ich meine kulturellen Wurzeln dafür aufgeben muss. Es muss und kann beides zusammen gehen und das ist das, was wir tagtäglich vorleben, als Familie Tekkal, aber auch mit den Organisationen, die wir gegründet haben.

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Vielen lieben Dank für das spannende Interview, Frau Tekkal!

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Bildquelle: Markus C. Hurek

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