Es ist eines der Buzzwords, das gerade besonders gerne in den Medien benutzt wird: Diversity! Nicht nur auf Social Media wollen nun alle mehr Diversität sehen, auch große Konzerne, bekannte Marken und politische Parteien suchen auf einmal händeringend nach Wegen, sich möglichst divers zu präsentieren. Aber was bedeutet Diversität eigentlich wirklich? Und warum streben plötzlich alle nach Vielfalt? Steckt hinter dem Buzzword – wie so oft – nur heiße Luft oder kann der aktuelle Trend unsere Gesellschaft nachhaltig verändern?
Diversität: Definition & Hintergründe
Diversität (engl. Diversity) bedeutet Vielfalt bzw. Vielfältigkeit. Der Begriff Diversität wird heute meist in Bezug auf soziologische Vielfalt in der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik verwendet. Seinen Ursprung hat der Diversitäts-Ansatz in der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Ziel war es, die Diskriminierung von People of Colour aufgrund ihrer Hautfarbe zu bekämpfen. Daraus entstanden im weiteren Verlauf Gesetze und Maßnahmen zur Förderung von benachteiligten Gruppen. Auch in Deutschland gibt es seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, welches „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen soll“.
Das Gegenteil von Diversität ist somit die Diskriminierung, denn sie führt zu Einfalt, d.h. der Dominanz einer homogenen Gruppe und Ausschließung anderer Gruppen.
Die Dimensionen von Diversität
Oft wird das Thema Diversität gleichgestellt mit Gender-Diversität, also einer Gleichstellung der Geschlechter. Diese ist jedoch nur ein Teil von Diversität. Tatsächlich umfasst Diversity mehrere Kern-Dimensionen:
- Alter
- Ethnische Herkunft & Nationalität
- Geschlecht & geschlechtliche Identität
- Körperliche & geistige Fähigkeiten
- Religion & Weltanschauung
- Sexuelle Orientierung
- Soziale Herkunft
Um Diversität ganzheitlich umzusetzen sollten immer alle Dimensionen Beachtung finden. Oft wird auch das Thema Inklusion mit Diversity gleichgesetzt. Inklusion bedeutet so viel wie „die Einbeziehung aller“ und bezieht sich heute meist auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Inklusion ist somit ein wichtiger Teil von Diversität, daher wird häufig auch von „Diversity & Inclusion“ gesprochen.
Warum ist Diversität so wichtig?
Abgesehen davon, dass eine Ausgrenzung von Menschen aufgrund bestimmter Merkmale oder Eigenschaften diskriminierend und schlichtweg falsch ist, hat man inzwischen zum Glück auch erkannt, dass Diversität zahlreiche Vorteile mit sich bringt. Denn Vielfalt in einer Gruppe sorgt dafür, dass viele Perspektiven und diverse Standpunkte Berücksichtigung finden und man so gemeinsam zur bestmöglichen Lösung kommen kann. Heterogene Gruppen sind kreativer, flexibler und innovativer. Das Diversity Management ist daher bei immer mehr Unternehmen, insbesondere im angloamerikanischen Raum, fester Bestandteil des Personalwesens.
Die Unternehmensberatung McKinsey konnte zum Beispiel durch mehrere Studien beweisen, dass diverse Firmen erfolgreicher sind als weniger diverse Firmen. So untersuchten sie, wie sich Gender Diversität sowie ethnische Diversität in den Führungsetagen auf die Gewinne der Firmen auswirken. In allen Untersuchungen lagen die Unternehmen vorn, die auf eine diverse Mitarbeiterstruktur setzen.
Das Thomas-Prinzip
Dennoch sieht es in den Führungsetagen der meisten Firmen noch immer nicht sehr divers aus. Sie sind männlich und weiß dominiert, Veränderung zu mehr Diversität findet hier – wenn überhaupt – meist nur schleppend statt. Erst 2021 deckte eine Umfrage von MarketingWeek die fehlende Repräsentanz von People of Colour im Marketing in Großbritannien auf. Die Umfrage zeigt, dass 85 Prozent der Branche weiß sind. Zwar gaben 7 von 10 Marketing-Verantwortlichen an, dass sie die Notwendigkeit für Diversity verstehen, jedoch haben über 40 Prozent von ihnen im vergangenen Jahr keine einzige Entscheidung getroffen, um die schwarze Repräsentanz zu erhöhen.
Als Erklärung für die fehlende Diversität in Unternehmen wird unter anderem oft das „Thomas-Prinzip“ genannt. Es beschreibt die Tatsache, dass Chefs dazu tendieren, sich mit Menschen zu umgeben, die ihnen möglichst ähnlich sind. Einfach gesagt: Thomas vergibt den Job an Thomas und nicht an Fatima. Daraus resultierte wahrscheinlich, dass es 2018 in den deutschen Börsenvorständen tatsächlich mehr Männer mit dem Namen Thomas oder Michael (60) gab als Frauen insgesamt (56), wie die All Bright Stiftung feststellte.
Diversity ist Chefsache
Thomas selbst ist das „Problem“ nur selten bewusst. Fragt man ihn ganz direkt, ob er sich für sein Unternehmen mehr Diversität wünscht, wird er wahrscheinlich ehrlich mit „Ja“ antworten. Und doch ist er sich wahrscheinlich nicht darüber im Klaren, dass ER es ist, der Veränderung herbeiführen kann. In den Führungsetagen wird oft nur nach Erklärungen für den aktuellen Stand gesucht, und selten nach neuen Lösungen. „Es bewerben sich einfach keine Frauen!“, heißt es da zum Beispiel. Oder: „Die weißen Männer sind nun halt da, die kann man ja jetzt auch nicht alle entlassen!“ Auch ein beliebter Satz, den ich schon häufig gehört habe: „Frauen haben halt andere Ziele im Leben als Karriere."
Was hingegen kaum getan wird: Nach dem „Warum" fragen und aktiv Lösungen anstoßen! Dabei ist Veränderung möglich, wenn ein Unternehmen dies wirklich will und entsprechende Maßnahmen ergreift. Ein spannendes Beispiel aus der Praxis: Bis in die 70er Jahre hatten die fünf größten Musikorchester der USA einen Frauenanteil von unter 5 Prozent. Um dies zu ändern, führte man „Blind Auditions“ ein, sprich: Alle Bewerber*innen spielten anonym hinter einer Wand und wurden lediglich nach ihrem musikalischen Können beurteilt. Inzwischen liegt der Frauenanteil in den meisten Orchestern bei rund 30 Prozent.
Doch wenn es eigentlich möglich ist, warum werden in den Firmen dann so wenig konkrete Maßnahmen für mehr Diversity getroffen? Die Erklärung für dieses „Nicht-Handeln“ kann eigentlich nur sein, dass der Nutzen von Diversität in der Unternehmensführung noch immer nicht erkannt wurde. Oft wird „Diversity“ nur als nettes Aushängeschild begriffen, selten aber wirklich als gewinnbringender Faktor gesehen.
Diversität als zentrales Thema des 21. Jahrhunderts
Zum Glück bekommt das Thema Diversität immer mehr Aufmerksamkeit. Auf Social Media werden vermehrt Stimmen laut, die sich mehr Inklusion und Diversität in den Medien wünschen. Es werden öffentliche Debatten rund um eine gendergerechte Sprache geführt. Menschen weltweit demonstrieren gemeinsam gegen Diskriminierung und für Gleichbehandlung. Ganz klar, in der Gesellschaft passiert etwas, und auch die großen Organisationen und ihre Tomasse können hier nicht mehr länger wegschauen.
Zusammen mit „Nachhaltigkeit“ und „Digitalisierung“ wird „Diversität" häufig als ein zentrales Thema des 21. Jahrhunderts genannt. Immer mehr Menschen erkennen, dass gewisse Strukturen und Denkweisen in unserer Gesellschaft nicht mehr zeitgemäß sind. Organisationen wie „Charta der Vielfalt" oder „BeyondGenderAgenda" arbeiten bereits tatkräftig gemeinsam mit großen Konzernen an Strategien für mehr Diversität in der Arbeitswelt.
Aber: Damit die Mehrheit von uns beim Wort „CEO“ nicht mehr an einen älteren Herren im grauen Anzug denkt, müssen die Konzerne dafür sorgen, dass Diversität zur neuen Normalität in den Führungsetagen wird. Denn die Vorstellung, die in unseren Köpfen besteht, wird in erster Linie dadurch bestimmt, welche Erfahrungen wir zu dem Thema in der Vergangenheit gemacht haben. Ein eindrucksvolles Beispiel aus dem Jahr 2019: Ein kleiner Junge unterhält sich mit seiner Mutter in der Bahn. Plötzlich fragt er: „Mama, kann eigentlich auch ein Mann Bundeskanzlerin werden?“
Während die ältere Bevölkerung eine Frau als Staatsoberhaupt noch immer als außergewöhnlich wahrnahm, war dies für die junge Generation, die es bis dahin noch nie anders erlebt hatte, einfach normal. Genau darum ist es so wichtig, dass große Organisationen in Wirtschaft, Politik, Bildung und Medien Platz für diverse Rolemodels schaffen, die uns Tag für Tag vorleben, dass Geschlecht, Nationalität, Religion, sexuelle Orientierung, Alter und soziale Herkunft nicht darüber bestimmen, welche Chancen man im Leben hat. Wer sind also die CEOs von morgen? Das entscheiden die CEOs von heute. Hoffentlich lesen sie vorher diesen Beitrag…
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