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Im Interview

Katja Urbatsch: „Wir leiten die Bildungsperspektive des Kindes zu oft von den Eltern ab.“

Arbeiterkind Interview

In Deutschland hat jeder das Recht auf Bildung. Eigentlich sollte es längst egal sein, ob wir aus einem Akademiker- oder einem Arbeiterhaushalt kommen. Leider besteht Chancengleichheit bisher nur in der Theorie. Kinder, die als erste aus ihrer Familie studieren wollen, stellen sich noch immer viele Hürden. Deshalb gründete Katja Urbatsch 2008 die Initiative Arbeiterkind.de, die Kinder aus Arbeiterfamilien auf dem Weg zum und durchs Studium unterstützt. Im Interview haben wir mit ihr darüber gesprochen, wieso der Beruf der Eltern noch immer so entscheidend für die Bildungschancen eines Kindes ist.

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Katja Urbatsch hat es auf die Liste der „“ geschafft. Mit ihr zeichnet die Diversitätsinitiative BeyondGenderAgenda 2021 erstmalig fünfzig Persönlichkeiten aus, die das Potenzial haben, in diesem Jahr die Themen Diversity, Equity & Inclusion in der deutschen Wirtschaft maßgeblich voranzutreiben.

Katja Urbatsch_Foto ArbeiterKind.de

desired: Arbeiterkind.de unterstützt Kinder aus Familien ohne Hochschulerfahrung dabei, zu studieren. Wieso ist es für sie noch immer schwieriger?

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Katja Urbatsch: Ich bin selbst die erste aus meiner Familie, die studiert hat und kenne viele Probleme aus eigener Erfahrung. Es ist zum einen schwierig, weil man kein Vorbild in der Familie hat, das den gleichen Weg gegangen ist. Man kann also niemanden fragen, der sich mit dem Studium auskennt. Zum anderen stellt uns aber auch die Gesellschaft Hürden. Es ist immer noch verankert, dass man das macht, was die Eltern gemacht haben. Wenn die eigenen Eltern also eine Ausbildung gemacht und nicht studiert haben, wird man häufig ebenfalls dazu gedrängt. Zusätzliche Hürden können dann auch in der Finanzierung liegen, wenn die Eltern sich diese nicht leisten können. Da gibt es zwar Unterstützung in Form von BAföG oder Stipendien, aber sich da alleine drum zu kümmern, wenn sich in der Familie niemand damit auskennt, ist zunächst schwierig. Kinder aus Akademiker-Familien können in allen Fragen rund um das Studium viel häufiger auf die Erfahrungen der eigenen Eltern zurückgreifen.

Sehen Sie seit der Gründung von Arbeiterkind.de schon eine positive Entwicklung in der Gesellschaft?

Es hat sich auf jeden Fall das Bewusstsein für dieses Thema verändert. Als ich studiert habe, waren Begrifflichkeiten wie „Arbeiterkind“ oder „Studierende der ersten Generation“ in den Hochschulen nicht etabliert. Mittlerweile sind mehr Leute dafür sensibilisiert, dass der Studienantritt eben nicht für jeden gleich ist. Es gibt deshalb auch mehr Förderungen und Stipendien, die sich speziell auf diese Zielgruppe konzentrieren. Trotzdem sind da noch sehr viele Hürden. Gerade das Denken in einer Klassengesellschaft hat sich leider noch nicht so stark geändert, wie man es sich im Jahr 2021 eigentlich wünschen würde.

Treffen also noch immer viele Arbeiterkinder vor oder während des Studiums auf Vorurteile?

Noch immer ist verbreitet, dass wir uns anschauen, was die Eltern machen und daraus schließen, was die Kinder machen sollen. Wir leiten die Bildungsperspektive des Kindes sozusagen noch viel zu oft von den Eltern ab. Kommt jemand aus einem Professoren-Haushalt, ist es ganz klar, dass dieser Mensch später auch Abitur machen und studieren wird. Das hinterfragt niemand. Wenn jemand aber aus einem Haushalt kommt, in dem die Eltern Hartz-4 beziehen, wird ihm oder ihr ein Studium oft gar nicht erst zugetraut. Das Ganze wird dann häufig zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung und selbst wenn jemand den Weg an die Uni schafft, wird diese Person viel kritischer beäugt.

Oftmals wird Kindern aus Arbeiterhaushalten auch gar nicht die Perspektive geboten, zu studieren. Für viele Eltern ist es schwierig, ihren Kindern eine vernünftige Schulbildung zu finanzieren. Das wird gerade jetzt durch Corona noch einmal deutlich. Wie kommt es, dass es hier noch immer so viele Ungerechtigkeiten gibt, wo doch eigentlich Chancengleichheit herrschen sollte?

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Der Staat sollte es kompensieren, wenn Kinder aus einem Haushalt kommen, in dem Eltern sich zum Beispiel einen eigenen Computer für jedes Kind nicht leisten können oder die Kinder auch inhaltlich nicht bei den Hausaufgaben unterstützen können. Häufig passiert das jedoch nicht. Stattdessen werden Eltern, die ihre Kinder nicht so unterstützen können, von anderen schnell als schlechte Eltern dargestellt. Es wird ihnen vorgeworfen, dass sie ihre Kinder einfach nicht unterstützen wollen, dabei können sie es sich oftmals einfach nicht leisten.

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Finanzielle Probleme sind häufig auch eine große Hürde, wenn man sich letztendlich für ein Studium entscheidet. Gerade ein Umzug in eine neue Stadt kann hier eine Herausforderung sein. Wie können Arbeiterkinder das finanzieren?

Es gibt zwar viele Förderungen wie BAföG, Stipendien oder Studienkredite. Das Problem ist jedoch, dass das Geld nicht sofort da ist. Wenn ich den Semesterbeitrag zahlen will oder Geld für einen Umzug brauche, dann muss ich erst einmal in Vorleistung gehen. Gerade Städte wie München können sich viele Studenten zum Wohnen kaum leisten. Oftmals gibt es lokal spezielle Angebote. Da muss man sich am besten vorher informieren. Wir haben zum Beispiel viele lokale Arbeiterkind-Gruppen, die mit Tipps und Erfahrungen zur Seite stehen.

Gibt es bei Arbeiterkindern eigentlich auch Unterschiede zwischen Frauen und Männern? In vielen Bereichen haben Frauen noch immer schlechtere Chancen. Ist das auch beim Hochschulzugang so?

Dazu habe ich leider keine Daten aus Studien oder sonstigem. Das lässt sich natürlich schwierig pauschalisieren. Aus meinen Beobachtungen würde ich aber sagen, dass Frauen es durchaus schwerer haben könnten. Denn hier kommen oft auch noch traditionelle Rollenbilder dazu. Von einem Mann wird häufig immer noch erwartet, dass er später einmal die Familie ernährt, da bekommt er vielleicht auch eher Unterstützung, wenn er einen gut bezahlten Beruf ergreifen und dafür studieren will. Bei Frauen fragen sich hingegen gerade ältere Generationen oft noch, wofür sie denn studieren wollen, wenn sie sich später dann doch besser um die Kinder kümmern und einem Nebenjob nachgehen sollten. Gerade, wenn Familien mehrere Kinder haben und nicht allen ein Studium finanzieren können, kann ich mir vorstellen, dass der Sohn bevorzugt wird, wenn da noch ein traditionelles Rollenbild herrscht.

Viele Eltern freunden sich wahrscheinlich gerade deshalb auch mit dem Gedanken an, dass ihre Kinder studieren und keine Ausbildung machen, weil sie dann die Chance haben mehr Geld zu verdienen. Werden deshalb auch „sichere“ Studiengänge wie Lehramt oder Medizin bevorzugt und Geisteswissenschaften von Arbeiterkindern eher gemieden?

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Auf jeden Fall, es gibt ein paar typische Aufsteiger-Studiengänge. Dazu zählt auf jeden Fall Lehramt. Gerade im ländlichen Raum gibt es nicht so viele Akademiker, Lehrer*innen sind da die studierten Menschen, mit denen Arbeiterkinder die meisten Berührungspunkte haben. Darunter können sie sich etwas vorstellen und auch die Eltern kennen diesen Beruf. Deshalb beginnen viele Arbeiterkinder ein Lehramtsstudium. Oftmals ist das aber erst mal nur ein Einstieg und sie wählen später doch noch einen anderen Studiengang. Außerdem sind auch Studiengänge mit einem praktischen Bezug, wie etwa Ingenieurwissenschaften beliebt. Gleichzeitig sind aber auch Sozialwissenschaften sehr beliebt, denn viele Menschen, die selbst Bildungsungleichheit erlebt haben, wollen sich auch in ihrem Studium mit den Hintergründen auseinandersetzen.

Wie sieht es denn dann nach dem Studium aus? Fällt Kindern aus Nicht-Akademikerhaushalten der Berufseinstieg schwerer?

Das kommt drauf an. Viele haben es deshalb schwerer, weil ihnen die Netzwerke fehlen. Das beginnt schon, wenn es darum geht, während des Studiums Praktika zu machen. Bei Akademikerkindern vermitteln hier oft die Eltern, weil sie jemanden kennen. Außerdem ist es für Kinder aus wohlhabenden Familien auch leichter, für ein Praktikum ein paar Monate in eine andere Stadt zu gehen oder generell auf einen Nebenjob zu verzichten und stattdessen ein schlecht bezahltes Praktikum zu machen. Wir versuchen deshalb auch daran zu arbeiten, Firmen dafür zu sensibilisieren, dass auch die finanziellen Möglichkeiten, den Lebenslauf beeinflussen und sich hinter jemandem, der keine zehn Praktika gemacht hat, trotzdem eine tolle Mitarbeiterin oder ein toller Mitarbeiter verstecken kann. Außerdem haben wir ein Berufseinsteigerprogramm gegründet, in dem wir Absolvent*innen bei ihren Bewerbungen unterstützen. Der erste Job ist oft der schwierigste, danach wird es meist einfacher.

Vielen Dank, Katja Urbatsch, für das spannende Interview.

Noch mehr inspirierenden Lesestoff findest du übrigens in unserer Themenreihe „EmpowHER":

EmpowHER: Unsere Themenreihe zu inspirierenden Frauen

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Bildquelle: istock/wundervisuals, Arbeiterkind.de

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