Bereits im Mittelalter gab es Menschen, die sich mit Mystik auseinander gesetzt haben, auch wenn es den Begriff dafür noch gar nicht gab. Mystik ist eine Form des religiösen Erlebens, bei der die Vereinigung mit dem Göttlichen, das Einswerden des Menschen mit Gott, angestrebt wird. Doch wo kommt der Begriff eigentlich her? Welche Religionen glauben an mystische Erfahrungen und wozu dient die Mystik? Erfahre es hier.
Mystik kommt vom Altgriechischen „mystikós“ und wurde ins Lateinische „mysticus“ abgewandelt, wo es „unaussprechlich“ und „geheimnisvoll“ bedeutet. Auch das griechische Verb „myéein“ (= einweihen, beginnen, initiiert werden) hatte Einfluss auf die Entstehung des Begriffes, dessen substantivierte Form erst im 17. Jahrhundert erfunden wurde, obwohl es bereits im Mittelalter viele praktizierende Mystiker gab. Dem Duden zufolge ist Mystik eine „religiöse Anschauung, bei der durch Versenkung, Hingabe, Askese o. Ä. eine persönliche, erfahrbare Verbindung mit der Gottheit, mit dem Göttlichen [bis zu einer ekstatischen Vereinigung] gesucht wird“. Im Wesentlichen fasst der Begriff Mystik jegliche Berichte und Aussagen zusammen, die über die Erfahrung einer göttlichen oder absoluten Wirklichkeit berichten. Das Thema Mystik ist Forschungsgegenstand zahlreicher Fachbereiche wie der Theologie, der Religionswissenschaften, der Kultur-, Geschichts- und Literaturwissenschaft sowie der Philosophie und Psychologie. Im alltäglichen Sprachgebrauch sowie in populärer Literatur steht es meist in Beziehung zu religiösen oder spirituellen Erfahrungen, die als solche nicht objektiv zugänglich erscheinen. Es gibt umfangreiche Literatur zur Mystik, auch wenn der Begriff selbst in unterschiedlichem Sinne verwendet wird.
Mystik: Wo hat sie ihren Ursprung?
Bereits im ersten vorchristlichen Jahrtausend haben Menschen mystische Erfahrungen gemacht und sie beispielsweise in der Erlösungslehre des „Vedanta“, einer hinduistischen Schriftensammlung, niedergeschrieben. Auch in China (Daoismus), in Japan (Zen-Buddhismus), im antiken Griechenland (Mysterienkulte), in der Spätantike (Neuplatonismus), im Judentum (Chassidismus und Kabbala) sowie im Islam (Sufismus) sind bedeutende Ausprägungen der Mystik zu finden, die von mystischen Erfahrungen mit Gott berichten. Sie finden in unterschiedlichen Begriffen und Wendungen Ausdruck, die oftmals auch in Grundschriften dieser Religionen Verwendung finden. In nichttheistischen Traditionen wie dem Buddhismus, Jainismus und teilweise im Taoismus weiß man zwar von einer mystischen Erfahrung von der endgültigen Wirklichkeit, bezieht sich dabei aber auf keine Gottheit.
Mystik: Gibt es sie auch im Christentum?
Der Ursprung der christlichen Mystik ist in den Gotteserfahrungen der kirchlichen Mystiker zu finden. Die Briefe des Paulus und das Johannesevangelium sind beispielsweise von einer tiefen Mystik geprägt – mit dem erklärten Ziel einer unmittelbaren Einheit mit Jesus Christus. Im späten Mittelalter formulierte der französische Theologe Johannes Gerson eine gelehrte Definition des Wesens der „Theologia mystica“, welche er als experimentelle Erkenntnis Gottes aus der Erfahrung („cognitio dei experimentalis“) von dem durch die Kirche vermittelten theoretischen Wissen von Gott („cognitio dei doctrinalis“) abgrenzte. Demnach erfahren Mystiker durch Gott ihr wahres Selbst und haben das Gefühl, mit allem Lebenden eins zu sein. Sie erleben intensive Freude und Glückseligkeit aus dem Inneren, gefolgt von Phasen tiefer Dunkelheit in der Seele, in denen sie sich leer und verlassen fühlen. Das Mittelalter brachte einige der berühmtesten Mystiker und Mystikerinnen hervor, die sowohl der östlichen als auch der westlichen Kirche angehörten: Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi, Theresa von Avila oder Hildegard von Bingen. Christliche Mystiker bildeten oftmals ein Gegengewicht zur Amtskirche, da sie glaubten, ohne die Vermittlung eines Priesters zu Gott zu finden.
Mystik: Wie erfährt man sie?
Mit Hilfe der Mystik soll das Alltägliche im Bewusstsein auf die Erfahrung eines Göttlichen hin transzendiert werden. Der veränderte Bewusstseinszustand, den Eingeweihte durch diese Überwindung der Kluft zwischen Mensch und Gottheit erreichen, wird von theistischen, gottgläubigen Religionen als mystische Einheit („unio mystica“) bezeichnet. Askese, Kontemplation und Meditation dienen der Vorbereitung auf dieses Ziel. In ihren verschiedenen Ausdrucksformen kann die mystische Einheit gefühlsbetont, sinnlich-rauschhaft oder intellektuell-spekulativ sein. Eine Weltabgewandtheit, die Vermeidung von körperlichen Freuden, die durch Fasten, Askese und Zölibat erreicht wird, hat in vielen Religionen eine lange Tradition. In der christichen Mystik hingegen wird die Zusammengehörigkeit von Kontemplation („vita contemplativa“) und aktivem Leben („vita activa“) betont. Auch Traditionen des Zen betonen, dass Spiritualität und Alltag nicht entkoppelt werden dürfen.
Mystik: Wozu dient sie?
Mystiker, die die mystische Einheit mit Gott erreicht haben, sollen durch die verliehene göttliche Wirkkraft ihrer Seele Einfluss auf den Lauf des Weltgeschehens nehmen können. Menschen, die in diesen „mystischen Dienst“ gerufen wurden, sollten den Ruf anerkennen, eine widerstandskräftige Seele bilden, die göttliche Gnade halten und senden sowie durch Gebet heilen können. Außerdem sollten sie die Welt still und unsichtbar wandeln. Der klassische Archetyp des Mystikers taucht auch in der heutigen spirituellen Gemeinschaft auf.
Bist Du jemand, der an die Mystik glaubt und sich zu Göttlichem berufen fühlt? Oder hältst Du das „mystische Zeugs“ für Humbug? Ganz egal, wie Du zu dem Thema stehst: Die Mystik ist und bleibt ein Forschungsgegenstand zahlreicher Disziplinen und wird für Forscher wie Gläubige noch lange von Bedeutung sein.
Bildquelle: Thinkstock/iStock/bestdesigns