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Interview mit einer Kunsttherapeutin

Wie hilft uns Kreativität dabei, Stress abzubauen und Grenzen zu setzen?

Mental Health Job Interview Thuli Wolf
© Unsplash/ Kinga Howard

Dass heutzutage immer mehr Menschen tagtäglich an ihrem Stresslimit kratzen oder sogar bereits mitten in der Burn-out-Falle stecken, ist leider eine traurige Gewissheit. Wie Kreativität jedoch dabei helfen kann, für mehr Ausgleich im Alltag zu sorgen, hat uns die Kunsttherapeutin Thuli Wolf, die am 17. Oktober übrigens auch einen Workshop beim „People & Culture Festival“ geben wird, jetzt im Interview verraten.

Egal, wo man gerade auch hinhört: Immer mehr Menschen fühlen sich ausgebrannt. Die Akkus sind leer. In einer Studie der Pronova BKK gaben kürzlich sogar 61 Prozent der Arbeitnehmer*innen an, sich als Burn-out gefährdet einzustufen. Aber kein Wunder eigentlich, denn in unserer schnelllebigen Gesellschaft zwischen Leistungsdruck, beruflichen sowie privaten Verpflichtungen und den ganzen globalen Krisen noch on top bleibt eigentlich kaum noch Zeit zum Durchatmen. Das häufige Ergebnis: die absolute (mentale) Erschöpfung. Und genau deswegen ist es so wichtig, gesunde Grenzen zu setzen, um so weiter für seine innere Balance und ein gesünderes Leben zu sorgen. Wie genau das möglich ist, liest du hier in unserem Interview mit Thuli:

desired: Welche Herausforderungen für die mentale Gesundheit siehst du als besonders prägnant in unserer leistungsgetriebenen, schnelllebigen Gesellschaft?

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Thuli Wolf: Wir schauen alle verständnisvoll und mit offenen Augen auf Menschen, die ein Burn-out erleiden. Dabei denken wir häufig an erfolgreiche Manager*innen oder Gründer*innen – immer jedoch durch die Brille des Erfolgs. Jemand, der oder die so viel erreicht hat, darf erschöpft sein. Es gibt da draußen aber noch jede Menge anderer Menschen, die an Burn-out oder Bore-out leiden. Menschen, die nicht in das klassische Bild einer ausgebrannten Geschäftsperson passen.

Das sind zum Beispiel alleinerziehende Mütter, Menschen in der Kreativbranche oder Personen, die starren Arbeitsbedingungen unterliegen. Ein Zuviel an Druck und Stress, aber auch ein Zuwenig an Herausforderung können uns unter Druck setzen, immerhin suchen wir permanent Bestätigung in unserer Tätigkeit. Das kann mit starken Gefühlen von Schuld und Scham einhergehen. Depressionen können zu langfristigen Einschränkungen führen, wenn sie nicht behandelt werden. Die WHO sieht die Depression heute schon als Volkskrankheit an und stellt sie damit auf eine ähnliche Stufe wie das metabolische Syndrom.

Wir leben in einer kranken Gesellschaft, in der wir immer mehr auf unsere Leistung reduziert werden und uns konstant mit anderen vergleichen. Aber auch das Thema Neurodivergenz spielt eine immer größere Rolle. Menschen, die gewisse Leistungen nicht unter den vorgegebenen Bedingungen erfüllen können, weil, sie einfach anders funktionieren. Lange sind diese hinten runtergefallen. Gleichzeitig bröckelt unser Gesundheitssystem. Es gibt also immer weniger Möglichkeiten, das therapeutisch aufzufangen. Immerhin reden wir mittlerweile darüber, das war früher ganz anders.

Wie kann man damit umgehen, wenn man ständig das Gefühl hat, nie genug geleistet zu haben?

Ich glaube, in erster Linie ist es wichtig, sich klarzumachen, woher dieses Gefühl kommt. Oft stecken dahinter Glaubenssätze, die sich bereits im Kindesalter manifestiert haben. Besonders Menschen, die sich bezüglich ihrer eigenen Fähigkeiten unsicher sind, sind für die Leistungsgesellschaft ein gefundenes Fressen, da sie oft bis zur Erschöpfung arbeiten, um zu beweisen, dass sie doch etwas wert sind. Man nennt sie auch die Insecure Overachiever. Da hilft nur hinterfragen! Was hat mich eigentlich an diesen Punkt gebracht?

Abgesehen davon ist es wichtig, seinen Wert auch außerhalb von Arbeit oder Äußerlichkeiten zu definieren. Sehr oft leiden als erstes zwischenmenschliche Beziehungen unter unserem Stress. Sie werden als anstrengend und zusätzliche Belastung wahrgenommen. Und es stimmt: Beziehungen sind Arbeit. Aber sie geben uns auch Halt und Sinn, machen Freude. Auch Kunst und Kreativität fallen schnell hinten runter, wenn wir unter Druck geraten. Dabei würde ich empfehlen, kreative Aktivitäten immer ganz oben auf die Prio-Liste zu setzen. Ich spreche nicht zwangsläufig davon, dass jede Person jeden Tag großartige Kunst schaffen muss. Es reicht auch, wenn man nur fünf bis zehn Minuten am Tag in eine kreative Aktivität investiert. Allein das Anschauen von Kunst kann nachweislich unser Stresslevel senken und ein Gefühl von Sinn vermitteln.

Warum fällt es vielen Menschen deiner Meinung nach so schwer, achtsam mit sich umzugehen? Haben wir das Entspannen verlernt?

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Ich glaube, wir entspannen oft falsch. Viele liegen nach der Arbeit erschöpft auf dem Sofa und scrollen durch Instagram oder TikTok oder schauen Fernsehen. Für manche ist das die einzige Möglichkeit, abzuschalten. Was da aber geschieht, ist eine körperliche Entspannung, denn der Geist wird eigentlich nur zugeballert mit Informationen. Doch kaum einer verrichtet heute noch körperlich anstrengende Arbeit – diese Art von Entspannung bringt uns also gar nicht das, was wir wirklich brauchen. Geistige Entspannung kann bspw. durch Kunst und Kreativität vielmehr erreicht werden. Studien zeigen, dass das Modellieren von Ton ähnliche Effekte auf das Gehirn hat, wie eine tiefe Meditation. Auch reines Ausmalen kann unseren Geist entspannen. Natürlich helfen auch Bewegung, frische Luft, kochen – eigentlich kann man in fast jeder Tätigkeit seine Kreativität spielen lassen.

Wie kann man lernen, „Nein“ zu sagen und gesunde Grenzen zu setzen, ohne dabei sofort Schuldgefühle zu bekommen – ob nun im beruflichen oder auch privaten Kontext?

Grenzen setzen muss geübt werden. Gerade weiblich sozialisierten Menschen geht das Wort „Nein“ nur sehr schwer über die Lippen, da sie schon früh gelernt haben, dass sie darauf wenig positive Reaktionen bekommen. Ich habe mal einen Workshop besucht, indem es genau darum ging. Wir wurden aufgefordert, auf jede Einladung mit „Nein“ zu antworten. Es klingt blöd, aber allein das laute Aussprechen ändert die Einstellung zu den eigenen Grenzen. Ich denke auch, dass Schuldgefühle ganz normal sind. Statt sie zu verteufeln würde ich empfehlen, hinzuschauen. Woher kommt die Schuld? Was will sie mir sagen? Und dann auch: Was möchte ich ihr sagen?

Auch künstlerisch lassen sich Grenzen darstellen. Man kann die eigenen Körpergrenzen zum Beispiel malerisch ausdrücken und dann mal in sich hineingehören: Was fühle ich, wenn ich Grenzen male? Ja, und dann natürlich auch aushalten, dass man manche Sachen nicht aushalten kann.

Lust, noch mehr über das Thema mentale Gesundheit im Job zu erfahren?

Dann ab zum „People & Culture Festival“ in Berlin am 17. Oktober. Dort dreht sich in unterschiedlichen Talks und Workshops nämlich alles über die unterschiedlichsten Herausforderungen und Chancen unserer Arbeitswelt. Ob nun das Thema Mental Health im Job, verantwortungsvolles Recruiting, Future Skills und noch vieles mehr.

Dort hast du dann, wie oben bereits erwähnt, auch die Chance, Thuli kennenzulernen und an ihrem Workshop „Break the Block – Unleash Your Creativity“ teilzunehmen. Und das Beste ist: Die Tickets für das Festival sind kostenlos!

Gar nicht mal so easy. Vielen fällt es oft schwer, nach der Arbeit richtig abzuschalten. Wie kann Kreativität konkret dabei helfen, loszulassen und Stress abzubauen?

Zum einen beruhigt kreativer Ausdruck unser Nervensystem. Das Tolle daran ist, du musst nicht mal besonders „talentiert“ oder „begabt“ sein. Solange du dich auf den Prozess einlassen kannst, kann durch das kreative Schaffen dein Blutdruck und Puls gesenkt werden, ebenso wie deine Atemfrequenz. So kommst du aus dem Fight/flight/freeze-Mode raus. Außerdem erlaubt es dir, deine eigenen Emotionen zu verarbeiten.

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Kunst schafft einen sicheren Raum, indem das Erlebte und Gefühlte greifbar wird, ohne gefährlich oder bedrohlich zu werden. Das Kunstwerk funktioniert sozusagen als Puffer. Außerdem lassen sich in den Werken natürlich auch Themen erkennen, die dich unterbewusst beschäftigen. Du findest so wieder zu dir, lernst dich besser kennen. Heilung beginnt immer in der Beziehung zu sich selbst. Das ist die wichtigste Beziehung, die wir haben. Wenn wir uns gegenüber ehrlich und emphatisch sein können, auch wenn wir mal Mist gebaut haben oder eine schmerzhafte Erfahrung durchmachen, dann können wir auch in Kontakt mit uns bleiben und müssen uns nicht dauerhaft betäuben oder ablenken.

Hast du konkrete Tipps, wie man das im Alltag umsetzen kann?

Ich empfehle immer ein Sketch-Journal zu führen. Da machst du jeden Morgen – noch bevor du auf dein Handy schaust – eine kleine Zeichnung. Du findest einfach eine (oder mehrere) Farben und eine Form, die deinen momentanen Gefühlszustand ausdrückt. Das funktioniert dann wie ein Tagebuch. Du machst dir deine Stimmung bewusst, lernst deine Emotionen besser kennen und machst obendrein was Gutes für dein Nervensystem.

Ansonsten empfehle ich auch immer Kultur ins Leben einzubauen. Geh ins Museum, hör dir ein Konzert an, lass dich mitreißen von der Kunst, die andere in diese Welt bringen. Genau dazu ist sie da. Sie hilft uns, uns selbst zu spüren. Kreativität ist auch nicht zwangsläufig an Kunst gebunden. Ich sehe das eher als eine Art zu Leben. Wir sind alle als kreative Wesen auf diese Welt gekommen und es ist unsere Aufgabe, etwas zu kreieren. Was das genau ist, muss jede Person für sich herausfinden. Kochen kann genauso kreativ sein, wie eine Firma zu gründen oder eine Beziehung zu führen. Kreativ heißt neugierig, offen, mutig.

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Warum kann so eine Kunsttherapie für jeden Menschen ein gutes Ventil sein? Auch für diejenigen, die sich vielleicht nicht unbedingt als „künstlerisch begabt“ betrachten?

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Die Kunsttherapie ist auch ein Raum, indem man sich einfach mal ausprobieren darf. Du kannst bspw. mit einem Material experimentieren, das du noch nie benutzt hast. Dabei geht es nicht darum, ein tolles Werk zu schaffen, sondern vielmehr um ehrlichen Ausdruck, darum, sich selbst wahrzunehmen und zu erleben. Am Ende bedeutet Kreativität ja auch immer etwas zu machen, das es so noch nie gegeben hat.

Und da ist es unvermeidlich, dass man etwas mal „nicht so gut“ kann. Deshalb bewerte ich auch nie die Werke meiner Klient*innen. Ich bin ja keine Kunstlehrerin. Mir geht es nicht darum, jemandem einen Stil aufzudrücken, sondern dabei zu helfen, den eigenen zu finden, in der Kunst, aber auch im Leben. Natürlich helfe ich bei technischen Fragen. Als Künstlerin weiß ich natürlich auch, was es heißt, etwas zum ersten Mal zu machen. Ich weiß, welche Unsicherheiten auftreten können und welche Ängste. Aber ich weiß auch, wie viel Freude im Prozess aufkommen kann.

Ich erlebe immer wieder dieses Gefühl von Stolz, wenn meine Klient*innen auf das eigene Werk schauen und feststellen, dass es genau so ist, wie es sein soll. Das kann unglaublich ermächtigend sein, auch für Menschen, die sich selbst nicht als Künstler*innen bezeichnen würden.

Du willst jetzt auch die Kreativität etwas mehr in deinen Alltag holen? Dann checke doch unbedingt mal Thulis Angebot aus. Und ansonsten heißt es morgen früh für uns alle: Journal raus und Stift gezückt! Denn wenn uns jeder kleine Strich vielleicht schon etwas mehr zu uns selbst und unseren inneren Gefühlen bringen kann, ist das doch verdammt viel wert, oder?

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