Eigentlich wissen wir doch alle: Zu einer gesunden Ernährung gehören viel Gemüse und Obst, wenig Zucker und gesättigte Fettsäuren und auf jeden Fall Vollkorn statt Weißmehlprodukte. Doch ist Vollkornbrot wirklich so gesund? In letzter Zeit sind vor allem Ernährungskonzepte wie die Paleo-Diät beliebt, die gänzlich von Getreideprodukten abraten. Angeblich sollen manche Stoffe aus dem Vollkornbrot wie Gluten und Phytinsäure sogar giftig für den Körper sein. Wir haben diesen Ernährungstrends nachgespürt und uns angeschaut, was Ernährungswissenschaftler dazu sagen.
Wenn man sich die Beststeller der letzten Jahre im Bereich Ernährungsliteratur ansieht, stechen einem Buchtitel wie „Weizenwampe: Warum Weizen dick und krank macht" oder „Dumm wie Brot - Das Kochbuch: So verhindern Sie, dass Weizen Ihr Gehirn zerstört" ins Auge. Auf der anderen Seite empfehlen Ratgeber und auch die offizielle Deutsche Gesellschaft für Ernährung schon seit vielen Jahren eine Ernährung, die sich auf Vollkornprodukte stützt. Auf der einen Seite haben wir also nun die absoluten Getreidegegner und auf der anderen die Vollkorn-Befürworter. Ist Vollkornbrot gesund oder nicht? Finden wir's heraus!
Vollwert-Ernährung vs. glutenfrei und Paleo
In keinem Land der Welt ist das Vollkornbrot so beliebt wie in Deutschland. Kein Wunder, denn hierzulande waren im 19. und 20. Jahrhundert viele wegweisende Ernährungswissenschaftler wie Justus von Liebig und Werner Kollath aktiv, die im Vollkornbrot eines der gesündesten Lebensmittel sahen. Noch dazu wurde in Deutschland schon seit Jahrhunderten, je nach Region, Weizen und Roggen angebaut. Das Vollkornbrot, wie wir es heute kennen, ist jedoch eine noch recht neue Erfindung. Denn vor einigen hundert Jahren haben sich unsere Vorfahren weitestgehend von Getreidebreien ernährt. Das urige Vollkornbrot aus den Zeiten unserer Vorväter ist also eher ein Mythos. Brote wurden früher auch schon häufig mit Weißmehl gebacken, da die Kleie aus den Randschichten des Korns als Abfall und Viehfutter betrachtet wurde. Diese mit im Brot zu verbacken galt lediglich als Sparmaßnahme, um das Brot zu strecken und nicht, um seinen Gesundheitswert zu steigern.
Erst, seitdem Justus von Liebig herausfand, dass sich in den äußeren Schichten des Korns zahlreiche Nährstoffe befinden, fand das Vollkornbrot seinen Weg in Ernährungsratgeber. Die Idee, das Korn möglichst unbehandelt zu lassen, stieß auf großen Anklang. Schließlich müssen möglichst naturbelassene Lebensmittel doch auch viel gesünder für den Menschen sein – oder etwa nicht? Von dieser Theorie geht auch die moderne Paleo-Bewegung aus. Jedoch propagieren deren Anhänger eine Ernährung, die komplett frei von Getreide ist. Ihr Argument: Im Großteil der Geschichte des Homo sapiens haben sich Menschen nicht von Getreide ernährt. Daher sei der menschliche Organismus noch nicht an die moderne Kost gewöhnt und Getreidekost wie auch das Vollkornbrot sei verantwortlich für zahlreiche moderne Zivilisationskrankheiten. Auch die Anhänger einer glutenfreien Ernährung, die nicht an einer richtigen Zöliakie erkrankt sind, sind häufig der Meinung, dass eigentlich alle Menschen eine Glutenunverträglichkeit haben und der Verzicht auf sämtliche Getreideprodukte zu einer Besserung des Wohlbefindens führt. Also ein klares No-Go für die doch angeblich so gesunden Vollkornprodukte?
Schädliche Phytinsäure im Vollkornbrot?
Ein Streitpunkt, der neben dem Gluten immer wieder auftaucht, ist die Phytinsäure. Diese befindet sich in der Außenschicht des Korns. Für die Pflanze dient sie als eine Art Abwehrstoff vor Fressfeinden. Wird die Phytinsäure verspeist, bindet sie Nährstoffe wie Eisen, Zink, Kalzium und Magnesium an sich und verhindert die Aufnahme im Körper. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wenn wir Vollkornprodukte zu uns nehmen, können wir vielleicht gar nicht so viele der erwünschten Nährstoffe aufnehmen. Zahlreiche Studien sollen sogar belegen, dass eine phytinsäurereiche Ernährung Rachitis begünstigt, eine Erkrankung, die durch Kalziummangel entsteht. Ist das Vollkornbrot also ein gefährlicher Kalziumräuber? Ganz so einfach ist es nicht, denn Vollkornbrote enthalten nicht zwingend hohe Mengen an Phytinsäure. Durch lange Gärung des Teigs, wie beim traditionell hergestellten Sauerteig, wird der Phytinsäuregehalt drastisch minimiert und ist in manchen Broten kaum mehr nachweisbar. Kritiker machen allerdings darauf aufmerksam, dass dies bei industriell hergestellten Broten mit künstlichem Sauerteig, der aus wirtschaftlichen Gründen eine kurze Gärzeit hat, nicht immer der Fall ist. Im Zweifelsfall sollte also lieber zum traditionell hergestellten Sauerteigbrot aus einer Handwerksbäckerei gegriffen werden – schmeckt schließlich eh viel besser!
Mythos Ballastoffe: Zu viel Belastung für den Darm?
Ein weiteres Argument, dass Vollkornbrotfans angeben, ist der hohe Ballaststoffgehalt im Vergleich zum Weißbrot. Der Effekt lässt sich schließlich auch ganz leicht selbst beobachten: Nach einer Scheibe Vollkornbrot fühlen wir uns viel gesättigter als nach einer wabbeligen Scheibe Toastbrot. Ernährungsratgeber raten in der Regel zu einer ballaststoffreichen Ernährung, da sie für eine lang anhaltende Sättigung und eine rege Darmtätigkeit sorgt. Die unverdaulichen Fasern der Kleie quellen im Darm auf und sorgen für ein erhöhtes Stuhlvolumen. Seit den 80er Jahren gelten Ballaststoffe als Wundermittel und sollen sogar Darmkrebs vorbeugen. Inzwischen gibt es aber auch Kritiker dieser These, wie etwa den populären Ernährungswissenschaftler Udo Pollmer, der einen hohen Konsum von Ballaststoffen für Darmbeschwerden und Blähungen verantwortlich macht. Menschen, die Vollkornprodukte schlechter vertragen als Weißmehlprodukte, sollten demnach lieber auf dieses verzichten, als ständig ihren Darm zu reizen.
Wie Du siehst: Die Frage danach, ob Vollkornbrot nun gesund für Dich ist oder nicht, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Im Grunde hängt es, wie alle Ernährungsfragen, von Deinen individuellen Bedürfnissen ab. Wahrscheinlich müssen wir uns damit zufriedengeben, dass es nicht DIE eine gesunde Ernährungsform für alle Menschen gibt. Am besten, Du beobachtest Deinen Körper ganz genau und schaust, mit welcher Ernährung Du Dich am fittesten fühlst. Nur weil manche Menschen eine Glutenunverträglichkeit haben, heißt dies nicht automatisch, dass Gluten für jeden Gift ist. Wenn Dir Vollkornbrote aber bisher ständig Magenbeschwerden bereitet haben, solltest Du es in der Tat vielleicht mal lieber mit diesen leckeren Paleo-Rezepten probieren.
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