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Queermed Gründer*in

Sara Grzybek: „Diskriminierung hört nicht vor der Praxistür auf!"

Sara Grzybek
© Fadi Elias & In-Haus e.V.

Sara Grzybek gründete 2021 Queermed Deutschland, ein deutschlandweites Verzeichnis für queerfreundliche und sensibilierte Ärzt*innen, Therapeut*innen und Praxen. Dafür wurde Sara nun vom Diversity Netzwerk Beyond Gender Agenda mit dem German Diversity Award ausgezeichnet. Wir haben mit Sara über das spannende Projekt gesprochen.

desired: Du hast Queermed gegründet. Wie kam es dazu und was war für dich der Anstoß?

Sara Grzybek: Das war relativ spontan vor etwa zweieinhalb Jahren während der Corona-Zeit. Ich hatte über Instagram eine Story zugeschickt bekommen, da hat jemand über Queermed Österreich gesprochen. Da hat es klick gemacht und bei mir so viele Fragen aufgeworfen. Ich habe recherchiert, ob es sowas bei uns auch gibt, da ich ja bereits jahrelang ehrenamtlich in der queeren Szene tätig war und ein solches Verzeichnis total viel Sinn ergibt. Nach intensivem Austausch mit Julius, dem österreichischen Queermed Gründer, habe ich mir dann gedacht, ich mache es einfach selbst für Deutschland. So habe ich mich selbst in alles reingearbeitet, zum Beispiel wie man eine Website baut. Es hat etwa drei Monate gedauert, in der ich während meiner Vollzeit-Lohnarbeit Queermed aufgebaut habe und dann ging die Seite live.

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Die Zielgruppe ist größer, als man zunächst glaubt. Für wen genau ist Queermed gedacht?

Viele denken, dass Queermed 'nur' für queere Leute ist, aber im Grunde möchte Queermed alle Menschen unterstützen, die Diskriminierung im Gesundheitswesen erfahren – und das auf verschiedenen Ebenen. Das fängt bei finanziellem Gatekeeping an, also welche Sachen von den Krankenkassen bezahlt werden und welche nicht. So zum Beispiel beim Thema Kinderwunsch: Heterosexuellen Paaren wird die Kinderwunschbehandlung direkt bezahlt, gleichgeschlechtlichen Paaren nicht. Auch das Thema Behindertenfeindlichkeit: Wer hat überhaupt Zugänge zu welcher medizinischen Versorgung, zum Beispiel wie viele Praxen haben überhaupt einen Aufzug oder Rampen für Behinderte? Ebenso umfasst es das Thema Mehrsprachigkeit in den Praxen und zahlreiche andere Diskriminierungsebenen.

Was umfasst die Arbeit von Queermed noch alles?

Queermed möchte durch das Verzeichnis vor allem Safer Spaces aufzeigen. Wir sind uns bewusst, dass Diskriminierung nie zu 100 Prozent ausgeschlossen werden kann. Doch wenn eine Praxis bei Queermed empfohlen wurde, fühlen wir uns dort sicherer, als bei irgendeiner x-beliebigen Praxis anzurufen. Schließlich weiß man durch das Verzeichnis, dass dort andere Leute mit ähnlichen Erfahrungen hingehen. Darüber hinaus veranstaltet Queermed auch Workshops und Vorträge – zum einen um Queermed vorzustellen und den intersektionalen Aspekt und die verschiedenen Diskriminierungsebenen hervorzuheben. Zum anderen gibt es sehr viel Awareness-Arbeit durch den Austausch mit angehenden Mediziner*innen in Universitäten, Kliniken und Praxen. Und auch mit Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, damit sich Patient*innen bei ihnen wohler fühlen und die Risiken von Diskriminierung heruntergeschraubt werden können.

Was muss man tun, um ins Verzeichnis zu kommen?

In erster Linie muss man sensibilisiert arbeiten. Queermed ist von den Communities für die Communities. Selbstempfehlungen sind nicht möglich. Menschen, die in Praxen oder Kliniken positive Erfahrungen gemacht haben, füllen bei Queermed einen Fragebogen aus, der viele Ebenen abfragt. Am Ende kann man eine Empfehlung für bestimmte Personengruppen aussprechen, z.B. Trans-Personen, Migrant*innen, Behinderte etc. Die Empfehlungen werden von Queermed anschließend auf Echtheit geprüft und auch übersetzt (Queermed ist auf Deutsch und Englisch verfügbar). So landet die Praxis schließlich im Verzeichnis und andere Interessierte können dort nach konkreten Empfehlungen suchen.

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Wie ist es bei dir selbst, hast du häufig Diskriminierung erfahren oder in deinem Bekanntenkreis Fälle mitbekommen?

Ich persönlich weiß inzwischen genau, in welche Räume ich gehe, und ich habe auch das Selbstbewusstsein und spreche Situationen direkt an, wenn ich etwas als diskriminierend empfinde. Aber ich kriege in meinem Umfeld schon viele Fälle mit, sei es Transfeindlichkeit oder Rassismus. Diskriminierung hört nicht vor der Praxistür auf, sondern findet auch dort statt. Da kann man nicht wegsehen und sagen „betrifft mich nicht“, denn es betrifft so viele Menschen. Es gibt zahlreiche Studien zum Thema, die bestätigen, dass Diskriminierung im medizinischen Sektor besteht, zum Beispiel von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Es ist so offensichtlich, dass da viel falsch läuft.

Ein konkretes Beispiel aus dem Medizinstudium: Studierenden wird alles an weißen, männlichen, nicht behinderten Körpern beigebracht. Wie sollen diese dann später zum Beispiel Hauterkrankungen bei schwarzen Menschen erkennen, wenn sie dies nie gelernt haben? Es gibt eine Studie der IKK classic, die aufzeigt, dass Menschen, die starke Diskriminierung erfahren, häufiger mental krank werden. Mentale Erkrankungen können schnell auch in körperliche Symptome umschlagen – Schlafprobleme, Herzstörungen etc. Das zieht sich dann durch unsere gesamte Gesellschaft. Da kann niemand wegschauen und sagen, das Thema interessiert mich nicht, denn als Gesellschaft funktionieren wir nur durch Gemeinschaft und kollektives Handeln.

Sicher bekommst du viel positives Feedback und Interesse für dein Engagement. Aber gibt es auch negative Stimmen? In der Redaktion bekommen wir zum Beispiel häufig Zuschriften, in denen sich Menschen darüber aufregen, wenn wir in Texten gendern. Kennst du sowas auch und wie gehst du damit um?

Tatsächlich habe ich bei Queermed Glück gehabt und bisher nicht wirklich negatives Feedback erhalten. Auch bei Ärzt*innen ist das Feedback sehr positiv und viele kontaktieren mich und wollen wissen, wie sie in das Queermed Verzeichnis kommen können. Kritische Stimmen erreichen mich eher von Coaches oder Heilpraktiker*innen, die sich aufregen, dass sie nicht in dem Verzeichnis gelistet werden können. Es ist eine Gewissensentscheidung, nur geschützte Berufsbezeichnungen aufzunehmen. Schließlich gibt es viele Menschen, die nicht wissen, dass nicht jeder, der sich Therapeut nennt, auch wirklich eine medizinische Ausbildung hat.

Auf Netzwerken, wie zum Beispiel LinkedIn, gibt es hin und wieder auch mal Leute – meist leider der gleiche Stereotyp Mensch – die sich aufregen, weil ich zum Beispiel keine Pronomen verwende. Das sind Menschen, die einfach gerne anstacheln. Ich versuche das gar nicht an mich heranzulassen und gebe sowas im Bezug auf Queermed auch keinen Raum. Denn Queermed ist so wie es ist. Ich muss mit gutem Gewissen dahinterstehen. Und mir ist es eben wichtig, dass alle Leute angesprochen werden und sich wohlfühlen. Wenn Leute ein Problem mit inklusiver Sprache haben, die alle einschließt, dann ist das eben nicht ihr Raum und sie sollen woanders hingehen.

Queermed
Ein deutschlandweites Verzeichnis von Ärzt*innen, Therapeut*innen & Praxen. Empfohlen von Patient*innen für Patient*innen. (© Queermed)

Was ist dein großer Traum mit Queermed für die Zukunft?

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Das große, utopische Ziel von mir ist, dass es Queermed gar nicht bräuchte. Weil wir irgendwann ein Gesundheitswesen haben, in denen Menschen in jede Praxis gehen können und wissen, dass sie hier gut behandelt werden. Aber das wird sich nicht in 15 oder 50 Jahren umsetzen lassen, sondern ist ein langer Prozess. Aber es freut mich zu hören, wenn Menschen sich melden und sagen, dass sie erfolgreich eine gute Praxis über Queermed gefunden haben, mit der sie zufrieden sind. Auch von Seiten der Behandler*innen gibt es oft positive Stimmen, die sich dafür bedanken, dass sie Queermed als Anlaufstelle empfehlen können. Denn oft wissen die Praxisteams selbst ganz genau, wie viel im Gesundheitswesen falsch läuft, aber es besteht eine Machtlosigkeit gegenüber den Problemen und sie wissen selbst nicht, was sie konkret tun können. Viele andere Länder sind schon deutlich weiter, wenn es zum Beispiel um die medizinische Ausbildung geht. Da braucht es bei uns neue Informationen, die auf dem aktuellen Stand sind. Beispielsweise sollte Transspezifische- oder Gender-Medizin in medizinische Standardwerke aufgenommen werden. Auch rassismus- oder queersensibles Arbeiten sollte zur verpflichtenden Standardausbildung von Mediziner*innen gehören und nicht nur auf freiwilligem Interesse basieren.

Ich danke dir sehr für das Gespräch, auch ich konnte wieder viele neue Denkanstöße mitnehmen, über die ich selbst noch gar nicht nachgedacht hatte, einfach weil sie mich nicht betreffen.

Danke auch für die Möglichkeit, hier über Queermed zu reden, um vielleicht noch mehr Menschen darauf aufmerksam zu machen. Es hilft immer, mit Menschen zu sprechen, die nicht die gleiche Lebensrealität haben wie man selbst, um Empathie zu entwickeln. Denn ich glaube, Empathie ist nicht automatisch da. Man muss durch den Austausch die Lebensrealitäten der anderen kennenlernen und verstehen Nur dann kann man Empathie dafür entwickeln.

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