Kopieren geht über Studieren! So könnte das Motto bei Inditex lauten, denn die Fast-Fashion-Gruppe ist bekannt dafür, die Designs von Luxusmarken für den Billigmarkt zu kopieren. Und das Geschäft geht auf. Ein genauer Blick auf diese Praktiken ist jedoch unerwünscht. Eine neue Arte-Dokumentation zeigt nun nicht nur, wie Designer*innen bei Zara und Co. dazu angehalten werden, Mode einfach zu kopieren, sondern welche Regeln und Vorgaben hinter der „Copy and Paste“-Strategie stecken.
Das Geschäft mit der Billigmode
So famos und glänzend ihr Aufstieg war, so düster und schrecklich ist die Entwicklung von Fast Fashion. Zu Beginn noch eine Innovation, wurde sie innerhalb der letzten Jahre zu einem Synonym für fragwürdige Geschäftspraktiken. Obwohl die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Herstellung von Billigmode und ihr negativer Einfluss auf unsere Umwelt durch ihre Produktion und unseren Konsum längst bekannt sind, boomt das Ausbeutungsgeschäft mit der schnellen Mode weiterhin. Viel schlimmer noch, es wächst! Bis 2030 soll der Industriezweig laut Prognosen um bis zu 60 Prozent wachsen. Mit immer mehr neuen Trends und noch schneller wechselnden Kollektionen locken die Marken Modebegeisterte in ihre Geschäfte. Ganz weit vorne mit dabei: Zara. Die spanische Marke der Inditex-Gruppe liefert ihren Kund*innen jährlich bis zu 65.000 neue Kollektionsteile.
Kleidungsstücke, die nachgemachte Luxusmode zu Dumping-Preisen sind: Fast-Fashion-Unternehmen kreieren keine eigenen Designs, sie lassen sich von großen Marken inspirieren – und sie kopieren. Mit geheimen Spielregeln, die dank der Arte-Dokumentation „Fast Fashion – Die dunkle Welt der Billigmode“ nun der Öffentlichkeit preisgegeben werden.
„Was die da machen ist Copy and Paste!“
Im sogenannten „Cube“, dem Inditex-Firmensitz von Zara und Co. arbeiten insgesamt 700 Designer*innen täglich an neuem Mode-Nachschub. Wie der Arbeitsprozess aussieht, darüber schweigen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Nicht ohne Grund, denn sie alle müssen zu Beginn ihrer Anstellung eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben, so dass es nur selten zu einer Enthüllung der Konzern-Geheimnisse kommt. Doch der deutsch-französische TV-Sender sprach exklusiv mit einer ehemaligen Angestellten von Inditex, die drei Jahre lang Jeans für das Label Bershka entworfen hat. Marine Olacia gibt ganz offen zu: „Keine Frage, was die das machen, ist Copy and Paste“. Unter anderem aus diesem Grund hat die Modedesignerin das Unternehmen verlassen, denn „alles hat seine Grenzen“.
Spione mit strengen „Kopier-Vorgaben“
Der Zeitdruck, unter dem die Designer*innen ständig stehen, in kürzester Zeit möglichst unzählig viele neue Designs zu produzieren, macht es ihnen unmöglich, eigene Mode zu kreieren. Daher begeben sie sich auf sogenannte „Inspirations-Reisen“ und werden zu Spion*innen. „Alle Designer reisen, um sich inspirieren zu lassen. Bei Zara hieß das: Wir gehen shoppen und schauten uns teure Boutiquen ebenso wie klassische Modehäuser genau an, um jeden Trend mitzukriegen. Wir kauften, was uns unverzichtbar erschien. Vom Schnitt, vom Material und von den Farben. Und wenn etwas dabei war, was alle drei Faktoren abdeckte, wurde versucht, es zu kopieren.“, so die Modedesignerin über ihre Arbeit bei Inditex.
Teure Luxus-Kleidung wird von Zara-Designer*innen in eine Billig-Version umgewandelt – und das nach strengen „Kopier-Vorgaben“. Mehrmals im Jahr gäbe es laut Olacia interne Schulungen zum Thema „Copyright“. Dort würde den Designer*innen genaustens erklärt, was zu beachten ist, um keine 100-prozentige Kopie vom Original zu erstellen. Die Zara-Kopie solle sich in genau sieben Punkten vom Original unterscheiden. Details zu diesem Punkten verrät sie jedoch nicht. Warum gibt es diesen Plan? Weil man nur so großen Klagen aus dem Weg gehen kann. Und trotzdem kommt es immer wieder dazu, dass sich Modelabels gegen Zara wehren, jedoch meistens ohne Erfolg.
Rechtlich geprüftes Kopieren
Die Dokumentation zeigt dies am Beispiel des dänischen Labels Rains. Zara hat das Regenjacken-Design der Marke geklaut. Die Gegenüberstellung beider Jacken zeigt, dass der 7-Punkte-Plan von Zara anscheinend nicht immer aufgeht. „Ich kann nicht verstehen, wie man etwas herstellen kann, dass derart ähnlich aussieht. Dabei wäre es doch so leicht gewesen, es etwas abzuändern, so wie es alle machen. In diesem Fall haben sie jedenfalls ein absolut identisches Produkt hergestellt,“ so der Markengründer und Designer der Jacken von Rains. Verwunderlich, denn laut Olacia muss eine Produktkopie stets durch die Kontrolle der Rechtsabteilung. Diese prüft Design-Kopien darauf, ob der „Kopier-Plan“ erfüllt wurde. Wenn nicht, wird das Kleidungsstück mit dem Verweis, dass es zu nah am Original ist, zu dem/der Designer*in zurückschickt. Diese/r muss das erstellte Plagiat dann überarbeiten, damit es nicht zu Problemen – sprich zu Klagen – kommen wird.
Kleine Marken haben keine Chance gegen Zara
Nicht viele klagen gegen den millionenschweren Mode-Giganten, denn ein Rechtsstreit mit Zara kann für kleine Unternehmen oder einzelne Designer*innen teuer werden. Ein Fakt, um den Fast-Fashion-Riesen wissen und ihn ausnutzen. Bis zu 300.00 Euro kann eine Klage kosten, eine riesige Summe für viele Marken. Rains hat es gewagt und Zara wegen Plagiatsvorwurf verklagt. Nicht nur das. Sie haben Privatdetektiv*innen in China engagiert, die Details über das Kopieren ihrer Produkte herausfinden sollten. Das Ergebnis: Zwei Fabriken teilten mit, dass sie von einem Kunden aufgefordert wurden, die selbe Jacke, die sie für Rains produzieren, auch für eine andere Marke herzustellen: Zara. Das Verfahren gegen Zara lief drei Jahre. Erst 2020 kam es zu einer Schuldigsprechung durch ein dänisches Gericht. Das spanische Unternehmen muss Rains finanziell entschädigen und sich verpflichten, die Marken nicht mehr zu kopieren. Ein Glücksfall, denn in den meisten Fällen kommen Unternehmen wie Zara straflos davon.
Eine Marke, die Inditex nun von ihrer Kopier-Liste streichen muss. Doch die Liste ist noch lang und die Klagen halten das Unternehmen nicht davon ab, ihre Praktiken weiterzuführen. Sicher ist: Diese Praktiken gelten nicht nur für Zara und den Rest der Inditex-Gruppe, sondern für die gesamte Fast-Fashion-Welt. Denn mittlerweile gibt es sogar Firmen, die Zara in Sachen Produktionsgeschwindigkeit rasant überholt haben – und somit auch das Kopieren weiter vorantreiben.
Fast Fashion: Mode für die breite Masse
Fast Fashion hat die Modewelt revolutioniert und dabei nicht nur unser Verhalten zur Mode grundlegend verändert, sondern unseren Verstand auf den Kopf gestellt. War Mode früher nur den Reichen vorbehalten, können sich heute alle mit ihr schmücken. Seit Jahren sind wir auf einer dauerhaften Trendjagd, die sich immer mehr beschleunigt. Musste früher monatelang auf die neue Kollektion gewartet werden, sorgen Labels wie Zara heute wöchentlich für eine Überflutung an neuen Trends. Warum funktioniert Fast Fashion?
Die meisten Menschen träumen von Luxus. Doch teure Designerkleider können sich nur die wenigsten leisten. Warum also nicht ein beliebtes Kleid einer Luxusmarke nehmen und es in einer günstigen Variante kopieren? Die Kernidee von Zara ist, Luxusmarken für die breite Masse abzuwandeln, damit sich alle Mode leisten können. Den Preis dafür zahlt nicht Inditex, es sind die anderen Labels und vor allem Designer*innen, von denen die Kreationen nicht einfach nur abgewandelt, sondern gestohlen werden.
Die komplette Dokumentation „Fast Fashion – Die dunkle Welt der Billigmode“ ist noch bis zum 6. Juni 2021 in der Arte-Mediathek abrufbar und kann dort kostenlos gestreamt werden.
Nicht nur das Kopieren von Kleidung ist ein großes Problem von Fast Fashion, auch das Thema Umwelt spielt eine große Rolle. Wir haben die 10 besten Serien und Dokus über Nachhaltigkeit auf YouTube, Netflix & Amazon Prime herausgesucht, die nicht nur absolut sehenswert sind, sondern auch Themen wie Klimawandel und Umweltverschmutzung verständlich und für dich greifbar machen:
Bildquelle: Imago Images / Future Image; John Milner, Rains