Als langjährige Veganerin kenne ich so ziemlich jeden Vorbehalt gegenüber pflanzlicher Ernährung. Zunächst habe ich daher Augen rollend auf den YouTube-Kanal „Vegan ist ungesund“ der beiden Hamburger Gordon Prox (31) und Aljosha Muttardi (30) reagiert. Aber Spoiler-Alert: Es handelt sich hierbei um satirische Aufklärungsvideos, die Vorurteile über vegane Ernährung aufs Korn nehmen. In einem ihrer zahlreichen Clips befassen sie sich auch mit einem Vorwurf, der mich tierisch nervt: „Vegan ist unnatürlich“.
Ironie statt Schlachthof-Szenen
Obwohl ich nicht das Bedürfnis habe, anderen meinen Veganismus aufzuzwängen, fühlen sich Menschen in meinem Umfeld häufig dazu berufen, mich über die Gefahren der pflanzlichen Lebensweise aufzuklären. So scheint es auch den YouTubern Gordon und Aljosha zu gehen, die sich seit wenigen Jahren vegan ernähren. Auf all diese Vorurteile reagieren die beiden allerdings nicht, wie viele andere Veganer, mit reißerischen und belehrenden Schlachthof-Videos, sondern fokussieren sich auf die Gegenargumente – mit einer ordentlichen Portion Ironie.
Auf dem YouTube-Kanal „Vegan ist ungesund“, der mittlerweile schon 36.000 Abonnenten begeistert, finden sich Videos mit Titeln wie „Ohne Milch fehlt uns was!“, „Ein Arzt widerlegt vegane Ernährung“ oder „Fleisch ist normal, natürlich & notwendig!“. Mit diesen Clickbait-Überschriften werden sie sicher schon den einen oder anderen überzeugten Fleischesser angelockt haben, aber auch frischgebackene Veganer können hier Gegenargumente für die nächste nervige Diskussion sammeln, oder sich einfach nur amüsieren.
Was ist schon natürlich?
Besonders ins Auge stach mir das folgende Video. Während ich nämlich über viele Themen rund um Veganismus schon gar nicht mehr diskutieren möchte, regt mich die Behauptung, dass vegane Ernährung wider der Natur sei, immer noch auf. Auch wenn der Stil von Aljosha und Gordon durch die vielen Schnitte und Einblendungen von Frauentausch-Andreas und lustigen Katzen auf Endzwanziger wie mich etwas anstrengend wirkt, führen sie doch ein paar gute Argumente auf. Mir gefällt, wie die beiden infrage stellen, ob eine natürliche Ernährung überhaupt erstrebenswert ist:
Vegane Schnitzel und Pflanzenmilch – na und!?
Bis auf den Verweis auf die aus meiner Sicht problematische Veganismus-Doku „Earthlings“, in der Tierleid mit dem Holocaust gleichgesetzt wird, finde ich Aljoshas und Gordons Herangehensweise erfrischend. Ich gebe den beiden recht, dass ein Großteil der Speisen, die wir heutzutage konsumieren, von Menschen gemachte Kulturgüter sind. Dennoch wird gerne auf veganen Fleischersatzprodukten oder pflanzlichen Milchalternativen herumgehackt. Ein Argument, das ich sehr häufig höre: „Ich habe ja nichts gegen vegane Ernährung, aber wenn man schon kein Fleisch essen möchte, soll man auch bitte keine veganen Schnitzel oder Würstchen essen.“ Selbst von manchen Veganern werden solche Produkte belächelt, nach dem Motto: Das brauchen Veganer nur für den Übergang, wenn sie noch zu sehr an tierischen Produkten hängen.
Ich ernähre mich schon seit 15 Jahren vegan, koche sehr viel selbst und ernähre mich auf jeden Fall von weniger Fertigprodukten als die meisten meiner omnivoren Freunde. Dennoch esse ich auch äußerst gern vegane Burger mit Seitan-Patties oder freue mich über gut imitierte „Fischstäbchen“. Eigentlich würde mir schon das Argument reichen, dass mir diese Produkte einfach schmecken, denn sie sorgen bei vielen Gerichten für den nötigen Biss, für eine knusprige Note oder den Umami-Geschmack, für den sonst das Fleisch verantwortlich ist. Aber mir fallen noch andere Gründe ein, warum ich es überhaupt nicht bedenklich finde, dass tierische Lebensmittel veganisiert werden.
Mit diesen Methoden lassen sich je nach Verwendungszweck Hühnereier in Rezepten ersetzen. Wenn's schmeckt, warum nicht?
Warum ist Seitan unnatürlicher als Wurst?
Schauen wir uns doch einfach mal an, was eigentlich eine Wurst ist. Handelt es sich dabei um ein naturgegebenes Produkt, das hauptsächlich nach Tier schmeckt? Oder ist es nicht vielmehr eine Masse aus tierischem Protein, vermischt mit Gewürzen und Rauch, die anschließend in einen (künstlichen) Darm gepresst wird? Auf jeden Fall sind Würste eine menschliche Erfindung, und wenn man es mal objektiv betrachtet, eine recht abstruse. Aber was soll's, sie schmecken eben, auch mir. Warum kann ich als Veganer dann nicht einfach eine Komponente, das tierische Protein, mit Weizeneiweiß, Soja oder Lupinen ersetzen und ein Produkt genießen, das Fleischwurst sehr nahe kommt?
Auch bei Tofu und Seitan handelt es sich nicht um eine verrückte neue Erfindung von Öko-Veganern. So wurde Seitan, eine pflanzliche Fleischalternative auf Weizenbasis, schon mindestens seit dem 6. Jahrhundert von chinesischen Mönchen zubereitet. Ähnlich sieht das auch mit anderen pflanzlichen Produkten wie Sojamilch aus. Das macht auch diese Lebensmittel nicht zu natürlichen Nahrungsmitteln, denn sie wurden von Menschenhand erschaffen. Aber unnatürlicher als Käse oder Quark sind sie eben auch nicht.
Es geht natürlich auch ganz ohne vegane Ersatzprodukte. In so ziemlich jeder Esskultur gibt es Gerichte, die schon immer vegan waren:
Meine Ernährung muss nicht natürlich sein
Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass Fleischesser, die wesentlich mehr Fertiggerichte als ich konsumieren, die Natürlichkeit meiner Ernährungsweise bemängeln. Sobald ich mit solchen Leuten diskutiere, merke ich meistens, wie wenig diese über die Herkunft ihres Essen wissen. Naiverweise scheinen viele Vegan-Kritiker zu denken, dass ihre Würstchen oder ihr Magerquark naturgegeben sind und nicht von Menschen erschaffen wurden. Ich habe allerdings auch gar nichts dagegen, mich von Dingen zu ernähren, die Teile einer jahrtausendealten Esskultur sind. Was wäre denn das Gegenmodell? Wir ernähren uns nur noch von wilden Früchten, Gräsern und jagen unser Fleisch selbst? Nein danke!
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