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Frauen, Leben, Freiheit: Die Iran-Proteste im Überblick

Iran-Proteste

Am 16. September 2022 verstarb Jina Mahsa Amini nachdem sie von der iranischen Polizei verhaftet worden ist – ein Tag der vor allem das Leben der Frauen in der islamischen Republik verändern sollte. Denn der Tod der 22-Jährigen war der Auslöser für Proteste, die bis heute anhalten. Und für Proteste, die anders sind als alle anderen zuvor. Wieso, zeigen wir dir anhand der Chronik.

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Die Demonstrationen gegen das streng konservative Regime wurden von Woche zu Woche größer und lauter. Frauen verbrennen auf offener Straße ihre Kopftücher und schneiden sich die Haare ab. Im Gegenzug ging aber auch das Regime immer härter und brutaler gegen die Demonstrierenden vor. Es gab Tausende Tote, Festnahmen und etlichen weiteren Demonstrierenden, die derzeit inhaftiert sind, droht die Todesstrafe.
Doch die Frauen im Iran, die gegen das Mullah-Regime demonstrieren, lassen sich nicht unterkriegen – und beweisen unfassbaren Mut. Sie wissen nicht, ob sie die Demonstration überleben, verhaftet oder verprügelt werden und schreien es trotzdem ins Land hinein: „Frau, Leben, Freiheit!“ der Leitsatz, der historischen Iran-Proteste. Die Frauen haben in nur knapp zwei Monaten Gesetzen, die 40 Jahre alt sind, die Stirn geboten. Wenngleich der Ausgang völlig ungewiss ist, keimt ein Fünkchen Hoffnung im Land. Wir haben die Ereignisse im Iran in dieser Chronik festgehalten.

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16. September: Tod von Mahsa Amini

Es war der Auslöser der Proteste: Der Tod von Jina Mahsa Amini, die in einem Krankenhaus in Teheran gestorben war. Die junge Frau war während eines Familienbesuchs am 13. September in der Hauptstadt von der Sitten- und Religionspolizei wegen ihrer „unislamischen“ Kleidung festgenommen und auf eine Polizeiwache gebracht worden. Nach Darstellung der Polizei sei sie dort wegen Herzversagens zunächst in Ohnmacht und danach ins Koma gefallen. Ihr Tod wurde am 16. September bestätigt.

Im Internet kursiert jedoch eine ganz andere Version: Jina sei verhaftet worden, weil ihr Kopftuch nicht richtig saß und ein paar Haarsträhnen zu sehen waren. Dieser Version zufolge wurde ihr nach der Verhaftung auf den Kopf geschlagen, was zu einer Hirnblutung, dem Koma und zu ihrem Hirntod führte.

Mahsa Amini wurde zum weltweiten Symboldbild der Frauenbewegung im Iran. (Graffiti aus Sydney)

18. September: Anfang der bis heute anhaltenden Proteste

Vor allem die junge Generation Iranis lehnt sich gegen das Regime auf und startet Aktionen auf den Straßen und im Netz, um gegen den Tod Aminis zu protestieren. Am 18. September kommt es zu ersten großen Demonstrationen, gegen die das Regime und die Sittenpolizei hart mit Tränengas durchgreift. Auch zu Verhaftungen soll es gekommen sein. In der Heimatstadt der 22-jährigen Amini im Südwesten des Iran am Rande ihrer Beerdigung demonstrieren ebenfalls viele, angeblich sind es Tausende.

21. September Einschränkung des Internets

Am 21. September reagiert die Regierung auf die Demonstrationen mit einer Einschränkung des Internets. Zuerst waren Instagram und WhatsApp nicht mehr verfügbar, am selben Tag schaltete die Regierung auch den größten Mobilfunkprovider des Landes aus. Für Menschen im Iran sind – spätestens – seitdem VPNs besonders wichtig, um Informationen an die Außenwelt zu schicken und untereinander in Kontakt zu bleiben.

Denn die Sozialen Medien sind ein wichtiger Bestandteil der aktuellen Protestbewegung – auch wenn das Internet gedrosselt ist. Da die iranischen Medien staatlicher Kontrolle unterliegen, findet keine unabhängige Berichterstattung statt.

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Ebenfalls am 21. September ordnete die iranische Regierung eine Untersuchung zum Tod von Mahsa Amini an. Am 7. Oktober kommt die staatliche Gerichtsmedizin allerdings zu dem Ergebnis, dass es keine Schläge auf den Kopf gegeben haben soll. Stattdessen heißt es, die iranische Kurdin habe an einer organischen Vorerkrankung gelitten und wegen dieser sei es nach ihrer Festnahme zu Organversagen gekommen. Aminis Familie dementierte bis dato bereits mehrfach, dass die 22-Jährige an Vorerkrankungen litt.

22. September: Außenministerin Baerbock schaltet sich ein

Außenministerin Annalena Baerbock kündigt am Rande der UN-Generalversammlung in New York an, die Vorgänge rund um den Fall Amani vor den UN-Menschenrechtsrat bringen.

Am selben Tag berichten deutsche Medien, dass bei Protesten und Unruhen in Dutzenden Städten des Irans mindestens 17 Menschen ums Leben gekommen sind.

23. September: Bundeskanzler Olaf Scholz äußerst sich erstmals zu Amanis Tod

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte den Tod Aminis im Polizeigewahrsam „schrecklich“. Die Todesopfer bei den Protesten mutiger Frauen in Iran bedrückten ihn, twitterte Scholz. „Egal wo auf der Welt: Frauen müssen selbstbestimmt leben können – ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.“

26. September: Bundesregierung bestellt iranischen Botschafter ein

Die deutsche Bundesregierung bestellt den iranischen Botschafter ein und forderte die Regierung auf, die friedlichen Proteste zuzulassen.

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Am selben Tag berichten Medien, dass sich die Proteste auf inzwischen über 45 Orte (Städte, Dörfer, Gemeinden) ausgeweitet haben. Dabei kam es in den meisten Fällen zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten.

30. September: Tod von Nika Shakarami

Am 30. September wurde der Tod der jungen Iranerin Nika Shakarami international bekannt. Es ist ein weiterer Todesfall, deren offizielle Todesursache in Zweifel gezogen wird. Shakarami verschwand am 20. September, nachdem sie ihren Familienmitgliedern geschrieben hatte, dass sie vor Sicherheitskräften flüchte. Sicherheitsbehörden teilten ihren Eltern am 30. September mit, dass sie aus großer Höhe gefallen und dabei verstorben sei.

6. Oktober: EU-Parlament verurteilt Aminis Tod als Mord

Aus Sicht des EU-Parlaments handelt es sich bei dem Tod Aminis um einen „tragischen Mord“. Das Gremium fordert Sanktionen und eine unabhängige Untersuchung.

7. November: Richter verkünden Verurteilungen als Abschreckung

In der Woche des 7. November hat Gholamhossein Mohseni Ejei, Oberster Richter der Republik Iran, verkündet, dass die Strippenzieher hinter den Demonstrationen und Protesten schnellstmöglich identifiziert und verurteilt werden sollten, damit sie anderen als Abschreckung dienen.

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Er verkündete, dass die Anführer*innen wegen Feindseligkeit gegen Gott, Verdorbenheit auf der Welt und bewaffnete Rebellion angeklagt werden würden. Alle diese „Verbrechen“ stehen laut Scharia unter Todesstrafe.

Die Frauen im Iran lassen sich ihre Freiheit nicht mehr nehmen! Die Frauen werden sich nie wieder in ihre Häuser einsperren lassen, sie lassen sich nicht mehr unterdrücken.
Iran-Aktivistin Daniela Sepehri im desired-Podcast

13. Oktober: Tod einer 15-jährigen Schülerin

Am 20. Oktober war bekannt geworden, dass in der Stadt Ardabil eine 15-jährige Schülerin durch Schläge von Sicherheitskräften getötet worden sein soll. Nach Angaben des Koordinierungsrates starb Asra Panahi am 13. Oktober, nachdem „Beamte in Zivil“ das Gymnasium, das Asra besuchte, angegriffen hätten. Das UN-Komitee für Kinderrechte sprach von mindestens 23 getöteten Kindern seit Beginn der Proteste.

17. Oktober: EU verhängt erstmals Sanktionen gegen Sittenpolizei

Wegen der Gewalt gegen Demonstranten im Iran haben die Außenminister der Europäischen Union Sanktionen gegen die Sittenpolizei und weitere Verantwortliche des Landes beschlossen. Gegen alle Betroffenen werden Einreiseverbote verhängt, zudem wird ihr Vermögen in der EU eingefroren. Nach dem 17. Oktober folgen weitere Länder, darunter Deutschland und die USA, die Sanktionen verhängen und bis heute teils bestehende Sanktionen verschärfen.

Am 22. Okotber demonstrierten rund 80.000 Menschen in Berlin bei einer Solidaritätsdemonstration mit den Protestierenden im Iran.

26. Oktober: Joko und Klaas verschenken Instagram-Accounts

Im Spiel „Joko und Klaas gegen Pro 7“ sichern sich die Entertainer den Sieg und gewinnen traditionsgemäß 15 Minuten Sendezeit bei Pro 7. In den 15 Minuten überließen die Moderatoren ihre Sendezeit iranischen Menschen und vor allem Frauen, die fast täglich auf die Straße gehen und gegen das diktatorische Mullah-Regime protestieren. Damit nicht genug: Auch verschenkten beide ihre Instagram-Accounts auf Lebzeiten an Iranerinnen der Protestbewegung. Joko hat zu dem Zeitpunkt knapp eine Million Follower, Klaas etwa 700.000.

21. November: Iranische Fußballnationalmannschaft schweigt

Bei ihrem ersten Spiel bei der WM in Katar setzt die iranische Nationalmannschaft ein Zeichen: Geschlossen sangen sie nicht bei der Nationalhymne mit, um so ihre Unterstützung für die Proteste auszudrücken. Der iranische Staatssender unterbrach daraufhin die Liveübertragung kurzzeitig. Beim darauffolgenden Spiel am 25. November sangen die Spieler dann zumindest verhalten mit.

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Was sind Sie für eine Regierung, die auf die eigenen Bürgerinnen und Bürger schießt?
Bundeskanzler Olaf Scholz in seinem Video-Podcast vom 12. November

3. November: Auswärtiges Amt ruft Deutsche auf, Iran zu verlassen

Die Bundesregierung hat deutsche Staatsbürger*innen wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen die Proteste im Iran zur Ausreise aus dem Land aufgefordert. „Für deutsche Staatsangehörige besteht die konkrete Gefahr, willkürlich festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden“, hieß es auf der Internetseite des Auswärtigen Amts in Berlin.

12. November: Bundeskanzler Scholz stärkt Demonstrierenden den Rücken

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich deutlich auf die Seite der Demonstrant*innen im Iran gestellt. In seinem wöchentlichen Video-Podcast forderte er ein sofortiges Ende der Gewalt und die Freilassung der politischen Gefangenen. Die iranische Regierung kritisierte er scharf: „Was sind Sie für eine Regierung, die auf die eigenen Bürgerinnen und Bürger schießt? Wer so handelt, muss mit unserem Widerstand rechnen“, so Bundeskanzler Scholz.

18. November: Tausende demonstrieren am Gedenktag „blutiger November“

Im Iran sind während landesweiter Proteste erneut Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Bei Demonstrationen zum Gedenken an den „blutigen November“ 2019 soll es viele Tote gegeben haben, berichten Medien.

Nach Schätzungen von Menschenrechtlern wurden im Zuge der Proteste bis zum 18. November mindestens 360 Menschen getötet. Die Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) berichtete weiter, dass rund 16.000 Menschen festgenommen worden seien.

2. Dezember: Parlament überprüft Kopftuch-Gesetz

Am 2. Dezember kündigte der iranische Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri an, dass das iranische Parlament und die Justiz das Gesetz, das Frauen zum Tragen eines Kopftuchs verpflichtet, überprüfen wird. Wann und mit welchen Ergebnissen gerechnet werden kann, blieb offen.

3. Dezember: Iranische Sittenpolizei aufgelöst?

Die Sittenpolizei im Iran ist offenbar aufgelöst worden. Das berichten Medien unter Berufung auf den iranischen Generalstaatsanwalt. Eine Bestätigung von staatlichen oder halbamtlichen iranischen Agenturen gibt es bislang nicht, auch weitere Details zu den Umständen und der Umsetzung der Auflösung sind nicht bekannt. Beobachter*innen bewerten die mögliche Auflösung der Sittenpolizei als wichtigen Teilerfolg der Proteste, wenngleich es nicht das Ende des Kopftuchzwangs für Frauen bedeutet.

Regimekritiker*innen und Expert*innen haben jedoch Zweifel an der Ankündigung. Journalistin und Iran-Expertin Natalie Amiri schreibt auf Twitter, dass es sich viel mehr um ein Ablenkungsmanöver handle.

8. Dezember: Erste öffentliche Hinrichtung

Der Rap-Musiker Mohsen S. wird am 8. Dezember hingerichtet. Seine Exekution war die erste, die im Zusammenhang mit den Protesten seit Mitte September bekanntgeworden war. Mohsen S. soll ein Basidsch-Mitglied mit einer Waffe angegriffen, Schrecken verbreitet und eine Straße blockiert haben.

12. Dezember: Weitere Hinrichtung und erneute EU-Sanktionen

Am 12. Dezember kommt es zur einer weiteren öffentlichen Hinrichtung. Der wegen „Kriegsführung gegen Gott“ angeklagte Madschid-Resa R. wurde am Montag in der Stadt Maschad im Nordosten des Landes öffentlich gehängt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Irna.

Ebenfalls am 12. Dezember verhängt die EU qegen der schweren Menschenrechtsverletzungen im Iran weitere Sanktionen. Konkret soll es demnach um etwa 20 Personen und eine Organisation gehen.

Proteste in Iran: Was du jetzt tun kannst

Die Proteste im Iran gehen uns alle an. Wenn du aktiv werden möchtest, kannst du dich auf den Seiten von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Terre des Femmes oder dem Center for Human Rights in Iran informieren. Diese Organisationen informieren auch über relevante Petitionen.

Auch das Besuchen von Demonstrationen hilft den Frauen im Iran. Schnapp' dir deine beste Freundin, Bekannte oder Kolleg*innen und geht hin. Wenn du solche Demonstrationen ungerne alleine besuchen willst, schau dich in den Sozialen Medien um. Hier werden oft gemeinsame Besuche organisiert.

Und apropos Social Media: Es gibt einige Frauen und Organisationen, die sich mit den Gegebenheiten im Iran auskennen und denen du unbedingt folgen solltest: Beispielsweise Daniela Sepehri, Natalie Amiri, Duzen Tekkal, Middle East Matters oder Masih Alinejad.

Die Iran-Aktivistin Daniela Sepehri hat im desired-Interview die Wichtigkeit der Sozialen Medien betont: „Sie sind zu einer wichtigen Waffe geworden. Wer Bilder, Videos und Beiträge von iranischen Exilmedien oder Journalist*innen aus dem Iran teilt oder kommentiert, oder sie auch nur liked, erhöht die Reichweite. Vielleicht kriegen dadurch auch andere Nutzer*innen die Beiträge in ihre Timelines gespült.“ Das Wichtigste ist für die Aktivistin aber „informiert zu bleiben und nicht wegzuschauen.“

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Bildquelle: Saverio Marfia/Getty Images, Maja Hitij/Getty Images, Spencer Platt/Staff/Getty Images News

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