Während die Impfkampagne in Deutschland eher schleppend startete, hat sie mittlerweile Fahrt aufgenommen. Fast 40 Prozent der Bevölkerung sind zumindest einmal geimpft, die Priorisierung soll im Juni aufgehoben werden. Das liegt vor allem daran, dass immer mehr Impfstoff zur Verfügung steht, aber auch daran, dass mittlerweile nicht nur Impfzentren, sondern auch in Hausarztpraxen geimpft wird. Doch vielen Ärzt*innen wird das jetzt zu viel. Vereinzelt melden sich Praxen wieder aus dem Impfsystem ab. Der Ansturm auf die begehrten Impfstoffe ist schlicht zu groß. Kassenärzteverbände befürchten eine gefährliche Tendenz.
Obwohl inzwischen wesentlich mehr Impfstoff zur Verfügung steht als zu Beginn des Jahres, reicht er noch lange nicht, um alle Impfwilligen in den kommenden Wochen auch tatsächlich zu impfen. Trotzdem versuchen jetzt alle, sich schnellstmöglich einen Termin zu sichern. Die Telefone in Praxen, die Impfungen anbieten, klingeln dementsprechend in Dauerschleife. Die Ärzt*innen fühlen sich von der Politik allein gelassen. „Das Problem mit dem Impfstoffmangel wird auf dem Rücken der Hausärzte ausgetragen“, sagte Wolfgang Kreischer, Vorsitzender des Hausärzteverbands Berlin und Brandenburg, gegenüber t-online.
Aggressive Nachfrage nach Impfterminen stört den Regelbetrieb
Das große Problem: Wenn Ärzt*innen und Sprechstundenhilfen nur noch damit beschäftigt sind, ans Telefon zu gehen, Impfwillige auf Wartelisten zu setzen und Impftermine zu vergeben, leidet darunter der Regelbetrieb. Wer mit einem akuten, gesundheitlichen Problem anruft, kommt mitunter nicht durch. Für viele Praxen bedeutet das Überforderung. „Wir haben inzwischen eine gefährliche Entwicklung: Zahlreiche Hausarztpraxen melden sich vom Impfsystem wieder ab“, teilte Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein seine Beobachtungen mit der Rheinischen Post. Auch andere Ärzteverbände befürchten ähnliche Entwicklungen. Insgesamt steigt die Anzahl an Praxen, die Impfstoffe bestellen jedoch noch kontinuierlich. Vor allem, dass Patient*innen oft frustriert oder sogar aggressiv reagieren, stellt ein echtes Problem dar. Die Verbände sehen hier auch einen Teil der Schuld bei der Politik: „Zugleich werden die Menschen durch Ankündigungen der Politik noch ermuntert, obwohl der Andrang auf die Praxen ohnehin schon sehr groß ist“, erklärte Andreas Daniel von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe gegenüber t-online.
Wird die Impfpriorisierung zu früh aufgehoben?
Einige Ärzt*innen befürchten deshalb, die Aufhebung der Impfreihenfolge komme zu früh. Andere hoffen jedoch darauf, dass das Ende der Priorisierung ein Erfolg wird. So etwa die Hausärztin Gwen Rabe aus Bonn. „Was ja auch gerade zu sehr viel Aufwand führt, ist das ganze Gerede über die Priorisierung“, erklärte sie gegenüber dem WDR. Wird die Impfreihenfolge aufgehoben, können Termine unabhängig von Alter oder sonstigen Faktoren in der Reihenfolge vergeben werden, in der Patient*innen sich melden. Doch auch Gwen Rabe ist sich sicher, dass sie die drei Wochen Vorlaufzeit bis zur deutschlandweiten Aufhebung der Impfpriorisierung braucht, weil noch nicht alle Risikopatienten ein Impfangebot bekommen hätten.
Der Impfstoffmangel könnte außerdem schon bald kein Problem mehr sein. Im Juni sollen die Praxen deutlich mehr Dosen erhalten. 5 statt 2,5 Millionen, wenn alles wie geplant läuft.
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