Eigentlich sollte uns allen klar sein, dass TikTok rein gar nichts mit Medizin zu tun hat, keine Ferndiagnosen stellen kann und dass sich jeder einen Kittel überwerfen und in den Kurzvideos schlau als „Ärztin“ daherreden kann. Eigentlich ... Denn nun ist ein neues Schlagwort aufgetaucht, dass alle erstmal zur Begutachtung vor den Spiegel jagt: Habe ich ein runderes Gesicht als sonst? Habe ich gar ein Cortisol Face?! Höchste Zeit, sich das Phänomen mal genauer anzuschauen.
Was ist ein Cortisol Face?
Fragt man die TikTok-User*innen, ist ein Cortisol Face aufgedunsen, rundlich, fahl, geschwollen, müde und möglicherweise auch mit Rötungen, Augenringen und Pickeln gekrönt. Quasi das Abbild eines fetten Hangovers (ohne einen zu haben) oder das Ergebnis einer sehr stressigen Zeit. Moon Face wird das Ganze auch genannt. Aber und das ist eine wichtige Info direkt zu Beginn: Beim Cortisol Face handelt es sich nicht um einen medizinischen Fachbegriff! Vielmehr ist es eine Neuinterpretation der Sozialen Medien.
Hormone: Was ist Cortisol?
Um zu verstehen, warum das Ganze Cortisol Face genannt wird, hier ein kleiner Ausflug in die Biologie. Bei Cortisol handelt es sich um das umgangssprachliche Stresshormon, das in der Nebennierenrinde produziert wird. Das Hormon ist für viele Funktionen im Körper verantwortlich, zum Beispiel für unseren Stoffwechsel, die Blutdruckregulation, unseren Schlaf-Wach-Rhythmus und, wie der Name sagt, unseren Stresspegel. Bei Stress oder niedrigem Blutzucker steigt der Cortisolspiegel, um den Körper in Alarmbereitschaft zu versetzen.
Nun ist es so, dass es völlig normal ist, dass unser Cortisolspiegel im Laufe des Tages mehrere Schwankungen erlebt. Die Cortisolproduktion folgt einem natürlichen Tagesrhythmus. Am höchsten ist der Spiegel normalerweise am frühen Morgen und im Laufe des Tages sinkt er ab und erreicht seinen Tiefpunkt in der Nacht. Aber es gibt seltene Ausnahmen.
Chushing-Syndrom hat nichts mit dem Cortisol Face zu tun
Denn ja, man kann tatsächlich unter einem erhöhtem Cortisolspiegel leiden. Allerdings hat ein echter, medizinisch diagnostizierter erhöhter Cortisolspiegel nicht unbedingt etwas mit den Symptomen zu tun, die die TikTok-Userinnern zeigen. Denn dabei handelt es sich um eine ernstzunehmende Erkrankung – das sogenannte „Cushing-Syndrom“. Aber, bevor du jetzt in Panik verfällst: Das Cushing-Syndrom zählt zu den Seltenen Erkrankungen (SE) und hat eine Häufigkeit von etwa zwei bis fünf Fällen pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner pro Jahr, heißt es beim Universitätsspital Zürich. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel, beispielsweise bei anhaltendem Stress, führt nicht automatisch zu einem Cushing-Syndrom. Ausgelöst werden kann dieses zum Beispiel durch einen Tumor im Bereich der Hypophyse oder der Nebenniere.
So schädlich ist Stress für die Haut
Viel Stress bedeutet eine erhöhte Ausschüttung von Cortisol, weshalb man das Phänomen auch schlichtweg Stress-Gesicht nennen könnte. Klingt auch irgendwie weniger bedrohlich ... Wenngleich Stress alles andere als ungefährlich für den Körper ist! Die Haut ist der Spiegel der Seele, heißt es ja so schön und da ist tatsächlich etwas dran. Unser größtes Organ ist gerade im Hinblick auf unseren mentalen Zustand sehr sensibel. Eine Studie der Stanford University kam zu dem Ergebnis, dass insbesondere langanhaltender Stress Akne verschlimmern kann, er also die Hautentzündungen mit Pickeln, Pusteln und fettiger Haut fördert. Stress kann auch die Wundheilung beeinflussen und dazu führen, dass Wunden langsamer als sonst heilen. Eine weitere Studie der Medizinischen Hochschule Hannover belegt die Auswirkungen von Stress auf Neurodermitis- und Psoriasis-Schübe.
Und es gibt eine weitere Studie, die zeigt, wie eng Psyche und Haut zusammenhängen. 2014 beispielsweise haben Forschende in 13 Ländern insgesamt rund 3600 Menschen untersucht, die unter einer Hautkrankheit leiden. Dabei zeigte sich, dass 29 Prozent von ihnen – also gut jeder Dritte – zugleich auch an einer psychischen Erkrankung litt. Depressionen kamen bei Menschen mit Hautkrankheiten sogar doppelt so häufig vor wie in der Kontrollgruppe.
Mögliche Ursachen für ein Stress-Gesicht
Viel Stress ist also fürs Seelenheil und Hautbeschaffenheit alles andere als gut. Auch die Lebensumstände während stressigen Phasen lassen uns nicht gerade glowen. Denn auch ohne wissenschaftliche Belege, kennen es bestimmt viele: Wer viel Stress hat, kann vielleicht schlecht und weniger schlafen, hat keine Zeit oder Energie frisch zu kochen und bestellt fettige, salzhaltige Fertiggerichte, ignoriert die Skincare und so weiter ...
Vielleicht hast du auch einfach ein wenig zugenommen, eine Allergie, isst abends zu salzig, hast deine Periode, es ist heiß draußen (hello, Wassereinlagerungen) oder deine Gesichtsform hat sich schlichtweg im Laufe der Zeit verändert. Ein runderes, aufgedunsen Gesicht kann viele Ursachen haben und jeder Mensch ist individuell in der Form, wie er auf gewisse (stressige) Umstände reagiert.
Warum die Angst vorm Cortisol Face pure Eitelkeit sein kann
Ein wichtiger Einwand, um die ganze Panik ums Cortisol Face zu relativieren und den Wind aus den Segeln zu nehmen lautet: „Ich denke, dieser Trend versucht, etwas zu erklären, das nicht dem Schönheitsideal entspricht und es zu medizinisieren, um es in den Griff zu bekommen“. Diese weisen Gedanken stammen von der Dermatologin Dr. Cristina Psomadakis, die sie gegenüber der New York Time erklärt. „Der Cortisolspiegel kann zwar höher sein, wenn man gestresst ist, aber das bedeutet nicht, dass es sich um eine Krankheit handelt“, so die Dermatologin weiter. Viele der Veränderungen, die unter #cortisolface gepostet werden, scheinen laut Dr. Psomadakis eher Gewichtsverlust bzw. -zunahme oder schlichtweg Veränderungen im Alter zu reflektieren.
Was du am besten gegen ein aufgedunsenes Gesicht tun kannst, haben wir hier für dich gesammelt:
Achtung: Nerviger Tipp!
Versteh' mich nicht falsch: Wenn du bei dir einen ungesund hohen Cortisolspiegel vermutest, lasse es unbedingt von deinem Arzt oder deiner Ärztin abchecken. Ein Fünkchen Wahrheit steckt ja leider doch meistens hinter Social Media-Trends ... Das Wichtigste lautet aber wohl beim Thema Cortisol Face: Stress reduzieren. Vermutlich rollst du gerade mit den Augen, weil dieser Tipp manchmal so lapidar dahergesagt wird und die Umsetzung nahezu unmöglich scheint. Es lohnt sich aber so sehr, mögliche Quellen für deinen Stress ausfindig zu machen und sie nach und nach zu versieben. Sei geduldig mit dir. Babysteps sind der Schlüssel. Und versuche zu Beginn den simpelsten Tipp ever: Vorm Schlafengehen wird nicht mehr auf TikTok gescrollt (schon gar nicht über das Cortisol-Face). Du wirst schnell merken, wie gut dir das tut!