Der Kommentar „Richtig mutig!“ unter meinem Bikinibild wirkt irgendwie ambivalent. Mit extra Hall untermalt klingt er in meinem Kopf noch minutenlang nach. Was sich in mir breit macht, ist ein ganz seltsames Gefühl in der Magengegend. Irgendwie soll das ein Kompliment sein. Irgendwie fühlt es sich aber nicht so an.
Ach, wir kennen sie doch alle: die nett gemeinten Kommentare, die irgendwie dann doch gar nicht so nett sind. Wenn Menschen ihre vermeintlichen „Makel“ zeigen, finden wir sie überall. Die „Du-bist-so-mutig“-Kommentare. Nicht nur online. Sondern auch bei Oma, die bei deiner engen Hose meint, dass du dich da aber echt was traust. Bemerkungen, von denen man nicht so richtig weiß, wie man mit ihnen umgehen soll. Sich dafür bedanken? Ja, gern geschehen. Ein Mensch mit Poren, Cellulite oder einer Speckfalte. Ein Mensch. Oh mein Gott, gründet eine neue Religion und nennt sie Body Positivity! Hups, gibt's ja schon. Dass Body Positivity eine politische, feministische Bewegung ist, die von stark Übergewichtigen, BPoCs und Trans-Frauen ins Leben gerufen wurde, um auf strukturelle Ungleichheit aufmerksam zu machen, war mir auch lange nicht klar. Wie auch, wenn man den Hashtag bei nahezu allen Bikinifotos auf Instagram findet und auch Marken und Influencerinnen die Bewegung kommerzialisiert haben. Die Body-Positivity-Bewegung ist in Wirklichkeit Teil der Fat-Acceptance-Bewegung. Wenn du also gegen Fat-Acceptance bist, kannst du auch kein Supporter von Body Positivity sein.
Bad News: Wir sind alle fettfeindlich
Wenn ich jemals abgenommen habe, wurde mir das sofort als Kompliment mitgeteilt. Wow, du hast abgenommen! Dünnsein bedeutet schön sein. Aber wenn du dünn bist, bist du zwar schön, aber auch nicht schön genug. Thin Shaming ist ebenfalls Body Shaming. Generell ist es scheinbar wichtig für Menschen zu bewerten, ob Frauen zu- oder abgenommen haben. Mittlerweile plädiere ich so sehr für Body Neutrality. Ich strebe danach, dass Größen einfach egal sind. Eine neutrale Einstellung gegenüber des Körpers macht gelassen. Dass es mir nicht übermäßig imponiert, wenn jemand perfekt ins Ideal passt. Auch genannt: Pretty Privilege. Einen Vorteil, den man genetisch geschenkt bekommt, sich teuer kaufen kann oder für den man einen enormen Energieaufwand an den Tag legen muss. Meine Güte, kann es mir nicht einfach egal sein? Wie sehr wünsche ich mir das „I don't give a fuck“-Mindset. Wenn ich noch einen hypokritischen Body-Empowerment-Post sehe, werf' ich mein Handy gegen die Wand. Aber auch wenn mich die Body-Positivity-Bewegung mittlerweile nervt, brauchen wir sie, um Neutrality zu erreichen. Wir müssen negative Gefühle unserem Körper gegenüber erst verarbeiten, damit uns das Aussehen egaler wird.
Frauen definieren sich leider viel zu oft über Zahlen. Alter, Gewicht, Kleidergröße. Als würden wir in eine bessere oder schlechtere Kategorie fallen, je nachdem welches unerreichbare Ideal gerade an der Epochenordnung ist. Denn das Schönheitsideal ist temporär. Es ändert sich stetig und vor allem: Es ist für Niemanden erreichbar. Ansonsten ginge der Plan nicht auf. Wie oft stand ich in der Umkleidekabine und keine Hose hat gepasst. Ohne melodramatisch klingen zu wollen – ich habe oft mit Tränen vorm Spiegel gekämpft, weil ich meinen Hintern in keine Größe 38 gequetscht bekommen habe. Wie kann das sein, dass eine Kleidergröße nicht mehr passt, die vor ein paar Monaten noch gepasst hat? Lächerlich ist das. Vielleicht habe ich einfach zugenommen, vielleicht weichen die Hosenmaße hier von der Norm ab. Denn surprise, es gibt kein einheitliches Größensystem, an das sich alle halten müssen. Eigentlich sollte ich mir einfach eine andere Größe nehmen und gut ist. Ganz ohne Wertung. Doch so einfach ist es dann doch nicht. Zumindest für die meisten Frauen. Mittlerweile bin ich mir bewusst über die Hintergründe. Ja, wir lernen, dass das Leben einfacher ist, wenn Frau ins Schönheitsideal passt. Es fühlt sich an wie ein Schleier, der immer noch leicht wertend über meinem aufgebauten Bewusstsein über den konstruierten Erwartungen liegt. Und ich bezweifle, dass der einfach so weggeht, solange ich nicht ins Nirgendwo auswandere.
Vor zwei Jahren habe ich eine Klamottenmarke für Frauen mit Sanduhr- und Birnenform kreiert. Ich wollte – wie ich heute weiß – eine sogenannte „Wohlfühl“-Marke kreieren. In dieser Zeit habe ich die Modeindustrie etwas besser kennengelernt. Es ist schwierig als kleines Label alle Größen zu integrieren, alleine preistechnisch. Auf meine Nachfrage nach Plus Size-Größen bekam ich allerdings die Antwort, „dass das sowieso scheiße an großen Größen aussähe.“ Abgesehen davon, dass das mit Sicherheit nicht stimmt, wollte ich schreiend weglaufen, meinen perfektionierten Killer-Blick aufsetzen und den nächstbesten Gegenstand an den Kopf meines Gegenübers schmeißen. Am liebsten alles gleichzeitig. Das Projekt liegt seitdem auf Eis.
Honey, life is just a classroom
Fettfeindlichkeit hat ein System. H&M stand z.B. schon häufiger in der Kritik, weil des Öfteren beleuchtet wurde, dass sie ihre Größen einfach klammheimlich kleiner schummeln. „Wieso macht man sowas?“ habe ich mich gefragt. Das Prinzip funktioniert, weil alle Instanzen wie Zahnrädchen ineinander haken und wir schon in Schulzeiten in Klassen einteilen: Die Freaks, die Streber*innen, die Looser und richtig – die Coolen. Zu denen wollen Teenager gehören und scheinbar auch die Erwachsenen. Und H&M will bestimmte Gruppen einfach nicht im eigenen Laden sehen. Genauso wie andere Klamottenmarken. Der ehemalige, überhebliche Abercrombie and Fitch-Chef, Mike Jeffries, hat es 2016 in aller Öffentlichkeit zugegeben: „Wir beschäftigen nur gutaussehende Menschen in unseren Läden, weil wir nur gutaussehende Kunden haben wollen.“ Perfides Marketing, das das Konstrukt der Cool-Kids aufrechterhalten soll. Wahrscheinlich Wahrscheinlich im ersten Moment ein beruhigendes Gefühl für Kunden, die dort einkaufen können. Uff, ich bin Teil des exklusiven Clubs der Schönen und Angesagten. Cool sein verkauft sich besser und auch Taylor Swift hat es schon gesagt: „Honey, life is just a classroom.“
Am lächerlichsten muss sich das hier aber anfühlen für Menschen, die in diesen gängigen Läden gar keine passende Größe finden. Einfach, weil sie nicht ins System passen (sollen). Spätestens als H&M dann die Plus-Size-Abteilung aus ihren Läden radierte und nur noch online anbot, wurde es mir endlich klar: Wir haben ein verdammtes Problem mit Fettfeindlichkeit in dieser Gesellschaft. Denn während ein kleines Label Probleme damit hat, viele unterschiedliche Größen anzubieten, ist das sicherlich kein Argument für große und lang etablierte Marken. Hinzu kommt, dass die Durchschnittsgröße einer Frau in Deutschland eine 42 ist. Die letzte Größe in „normalen“ Läden. Alles drüber gehört zu den Übergrößen. Und dieses Problem geht uns alle was an. Denn welche Frau hat noch keine Diät in ihrem Leben gemacht?
Ja, die Menschen werden immer dicker. Ja, das ist ein Problem. Übergewicht kann ein Problem für die Gesundheit sein. Aber wir beseitigen das Problem nicht, wenn wir der Mehrheit ein schlechtes Gefühl geben. Die Ursachen für Übergewicht liegen sogar nicht selten an genau dem Teufelskreis dieses seelischen Drucks, der auf den Betroffenen liegt. Durch einen Ausschluss aus dem Cool-Kids-System werden wir vielleicht blind für das Problem, aber wir finden keine Lösung hierfür. Leider kann ein Cool-Kids-System aber auch nur funktionieren, wenn andere ausgeschlossen und minderwertig sind. Lasst es uns doch einfach ganz abschaffen und die Cool-Kids links liegen. Denn selbst das Verhalten der Cool-Kids ist nur eine Überkompensation und resultiert nicht aus gesundem Selbstbewusstsein.
Die wirkliche Coolness
Wenn Aussehen mutig ist, schwingt auch immer ein wenig der Subtext „Also, ich hätte mich das mit dieser Hässlichkeit nicht getraut“ mit. Auch wenn das wahrscheinlich nicht die vordergründige Intention der Verfasser*innen ist. Es ist kein Kompliment. Aussehen kann nicht heldenhaft sein. Menschen finden es aber mutig, weil es für sie wirklich bemerkenswert ist aus dem Konstrukt der Perfektion auszubrechen. Einfach, weil es sich für sie selbst wie eine unüberwindbare Mauer anfühlt. Und das ist zum einen traurig und zum anderen sehr verständlich bei den Einflüssen, die uns seit jeher umgeben.
Die Mutig-Kommentare sind also nur das Produkt eines fiesen Geflechts, das unsere Unsicherheiten aufrecht erhalten soll, damit wir weiter munter kaufen, um im Club der Coolen zu bleiben und uns trotzdem nie gut genug fühlen. Falls wir überhaupt die Privilegien haben, Teil dieses außerordentlich exklusiven Clubs zu sein. Es irritiert, dass Menschen es wirklich wagen, ihre Andersartigkeit zu zeigen, die eigentlich gar keine ist. Ansonsten würden wir uns nicht so erleichtert fühlen, wenn wir Normalität sehen. Absurd oder? Genauso absurd, dass daraus mittlerweile Kapital geschlagen wird. Allerdings ist das irgendwie das kleinere Übel und auch nicht sonderlich überraschend. Ich hoffe ehrlich gesagt, dass wir ertrinken werden in Abbildungen der echten Body-Positivity-Bewegung. Schickt mir die Flut an visueller Diversität. Mein Gehirn soll sich dran gewöhnen, dass wir alle verschieden sind. Solange bis wir so genervt sind, dass es irgendwann ganz casual wird, Cellulite und Dehnungsstreifen zu zeigen und eine Betonung nicht mehr notwendig ist und wir hoffentlich endlich die wirkliche Coolness namens Gelassenheit entwickeln.
Hat dir dieser Beitrag gefallen? Dann haben wir gute Nachrichten! Bereits nächsten Sonntag folgt die dritte Kolumne aus der Reihe „Es reicht" von Silvi Carlsson! Falls du die letzte Kolumne verpasst hast, kannst du sie hier noch mal nachlesen:
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Bildquelle: Silvi Carlsson, Patti-Saoirse