Insgesamt haben sich auf meiner Haut bereits acht Tattoos angesammelt. Sie stammen aus unterschiedlichen Lebensphasen und von verschiedenen Tätowierern – doch keines von ihnen symbolisiert mein Lebensmotto, einen Todesfall, einen geliebten Menschen oder eine schwierige Zeit in meinem Leben. Ständig werde ich jedoch von neuen Bekanntschaften oder Fremden nach deren Bedeutung gefragt. Warum denken so viele Menschen, dass Tattoos erst dann eine Daseinsberechtigung haben, wenn sie etwas über mich verraten?
In der Reihe „Ich steh’ dazu“ nimmt die desired-Redaktion kein Blatt vor den Mund. Egal, ob es um gesellschaftliche Tabuthemen, peinliche Erlebnisse oder persönliche Schwächen geht: Wir stehen einfach dazu! Erfahre, was uns bewegt und entdecke Themen, über die sonst nicht so offen gesprochen wird!
Besonders über ihr erstes Tattoo-Motiv scheinen sich viele den Kopf zu zerbrechen. Klar, man wird es sein Leben lang auf der Haut tragen. Ich glaube aber, dass es nicht nur das ist, was es Tattoo-Neulingen so schwer macht, sich zu entscheiden. In seiner Unsicherheit wendet sich dieser Reddit-User im Thread „Muss ein Tattoo eine tiefgründige Bedeutung haben?“ an die Community:
Ich denke darüber nach, mir mein erstes Tattoo stechen zu lassen, aber die perfekte Idee zu finden, ist schwierig. Ist es wichtig, dass das Tattoo einen gewissen Wert oder ein Ereignis in deinem Leben repräsentiert?
Reddit-User Swag-O
Ich könnte ihm diese Frage ganz einfach beantworten: Nein, das ist nicht wichtig. Es ist aber auch kein Wunder, dass er diese Frage stellt. Schließlich lassen sich zahlreiche Menschen derartige Tattoos stechen. Wenn es darum geht, sich die intimsten Dinge unter die Haut stechen zu lassen, scheint es Sorgen um Privatsphäre und Datenschutz – wie es sie im Umgang mit privaten Informationen im Internet gibt – nicht zu geben.
Jeder Fremde kann dann an ihrer Haut ablesen, wann ihre Kinder geboren wurden, wie der Partner heißt, wo ihr Heimatort liegt oder gar, ob sie eine psychische Krankheit überwunden haben (anhand eines Semikolon-Tattoos). Ich möchte niemanden diese Tattoos absprechen, kann aber das Bedürfnis, seine komplette Lebensgeschichte auf der Haut zu tragen, nicht nachvollziehen.
Hübsche Bilder auf meiner Haut, mehr nicht
Ich stelle mir manchmal vor, wie andere Menschen versuchen, sich einen Reim auf meine Tattoos zu machen: Da hätten wir ein großes Schabrackentapir, eine Nudel, ein L, ein umgedrehtes Kreuz, zwei Kaninchen aus dem verstörenden Trickfilm „Watership Down“, einen Hai, eine Karotte: Man könnte meinen, dass ich eine Zoowärterin mit italienischen Wurzeln bin, deren Freund Lukas heißt, ich außerdem Satanistin bin, mein Lieblingsfilm „Watership Down“ ist, ich mal mit Haien tauchen war und Karotten über alles liebe.
In Wahrheit finde ich Tapire und Haie einfach nur putzig, esse gerne Nudeln (aber eigentlich viel lieber Reis), das L auf meiner linken Hand steht für Links und dient allein der Orientierung, das umgedrehte Kreuz hielt ich für eine witzige, provokante Idee, „König der Löwen“ finde ich viel besser als „Watership Down“ und rohe Karotten mag ich eigentlich überhaupt nicht. Tattoos waren für mich nie eine große Sache, sondern schlichtweg Accessoires, genauso wie Piercings.
Ich habe auch nie lange gebraucht, mir ein Motiv zu überlegen. Wichtig war mir immer nur, dass mir die Tattoos optisch gefallen und es keine 08/15-Motive sind, die jeder Zweite trägt. Den Hai, das L und das Kreuz habe ich mir sogar spontan mit der Stick-and-Poke-Technik selbst gestochen – trotzdem habe ich keine tiefe emotionale Verbindung zu diesen Tattoos.
Ich trage lieber Nonsens-Tattoos anstatt eines dieser abgedroschenen Motive:
Sorry, aber es bedeutet leider nichts
Am häufigsten werde ich nach der Bedeutung meines Nudel-Tattoos gefragt (sogar Charlize Theron wollte nach diesem Interview wissen: „Is that pasta?“). Das Gespräch läuft dann meistens so ab:
Neugierige Person: „Hast du da eine Nudel auf deinem Arm?“
Ich: „Ja.“
Neugierige Person: „Wie nennt man die noch? Ach, ich weiß, Farfalle! Ist das deine Lieblingsnudel oder hast du italienische Wurzeln?“
Ich: „Nee, aber Farfalle sind schon in Ordnung.“
* Grillenzirpen *
Oft habe ich nach solch einem Gespräch das Gefühl, dass die andere Person denkt, ich würde ihr die wahre Bedeutung verheimlichen. Aber sorry, die olle Nudel symbolisiert leider in Wahrheit keinen Schmetterling und meinen Glauben an die Wiedergeburt.
Ich bilde mir nichts auf meine Tattoos ein
Wenn ich mir ansehe, wie bierernst viele Tätowierte ihre Bildchen auf der Haut nehmen, kann ich jedoch verstehen, woher die Erwartungshaltung bei solchen Gesprächen kommt. Immer wieder kann man das auf der Facebookseite „Tattoofrei – Es ist schön, keine Tattoos zu haben“ sehen. Die Betreiber dieser satirischen Plattform nehmen mit ihren Anti-Tattoo-Posts Tätowierte aufs Korn, die ihnen immer wieder auf den Leim gehen.
Die Facebook-User, die sich unter solchen Posts darüber aufregen, wie „hier gegen Tätowierte gehetzt wird“ messen ihren scheinbar tiefgründigen Tattoos stets sehr viel Bedeutung bei. Ich finde das als Mensch aus der westlichen Welt reichlich überzogen. Kulturen, wie etwa die neuseeländischen Maori oder die Iban aus Borneo, in denen Tattoos eine lange Tradition haben, gestehe ich ein, dass Tattoos eine tiefere Bedeutung haben. Wer sich hierzulande allerdings einen Kompass tätowiert um seine Liebe zum Reisen auszudrücken (reist nicht irgendwie jeder gerne?) oder ein Unendlichkeitszeichen für die ewig andauernde Liebe, kann ich nicht ernster nehmen als mich selbst mit meinen bedeutungslosen Tattoos.
Ich bin für sinnlose Spontan-Tattoos
Wenn ich es mir recht überlege, finde ich es sogar besser, dass meine Tattoos keine tiefgründige Bedeutung haben. Das liegt wohl auch daran, dass mir ein Tattoo, das mich an den tragischen Tod eines Familienmitglieds oder eine depressive Phase erinnert, zu banal wäre. Tattoos sind etwas, auf das man ständig im Alltag angesprochen wird: Auf Partys, von Kollegen, von Fremden auf der Straße. Möchte ich all diesen Leuten meine Lebensgeschichte auf die Nase binden?
Ich kann Menschen, die nach der Bedeutung meiner Tattoos fragen, ihre Neugierde auch nicht verübeln. Wer öffentlich Bilder auf seiner Haut zur Schau trägt, muss damit rechnen, angesprochen zu werden. Genau das vergessen wohl viele, die sich sehr persönliche Bilder unter die Haut stechen lassen. Solltest du dir also schon länger den Kopf darüber zerbrechen, welches bedeutungsvolle Motiv du dir tätowieren lässt, kann ich dir nur raten: Zerbrich dir nicht den Kopf! Wenn du nicht mit jedem Wildfremden über die intime Bedeutung deiner Tattoos sprechen willst, mach's lieber so wie ich und wähle einfach die Motive, die dir spontan einfallen!
Trägst du selbst Tattoos, die keine tiefgründige Bedeutung haben oder steckt hinter jedem deiner Motive eine persönliche Geschichte?
Bildquelle: desired